Filmkritik zu The Surfer

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Nicolas Cage wird der Mann der Stunde, schon wieder

    Exklusiv für Uncut aus Cannes 2024
    Gerade erst lief „Dream Scenario“ in den Kinos, und schon kommt mit „The Surfer“ der nächste Film heraus, in dem Nicolas Cage direkt da weitermacht, wo er zuletzt aufgehört hat. Auf dem Programm steht: Durchdrehen und alle schauspielerischen Register ziehen. Ekelmomente sind auch dabei, ganz im Geiste Cages, man denke nur an „Vampire’s Kiss“ zurück. Erneut ist die Schauspielikone in einem Film gelandet, der richtig einschlagen wird, da „The Surfer“ seine schillernde Filmografie perfekt repräsentiert. Stellt man die Frage „Hit or miss?“, die gern mit seinem Gesamtwerk in Verbindung gebracht wird, so ist die Neuproduktion ein Double-Hit.

    Darum geht's:Als sich der namenslose Ex-Surfer (Nicolas Cage) mit seinem Sohn an einen Strand begibt, um dort die Wellen und das Leben zu genießen, trifft er auf eine Bande aggressiver Einheimischer. „You don’t live here, you don’t surf here“ heißt es. Zunächst zieht er sich zurück, um seinem Sohn ein gutes Vorbild zu sein. Doch als die Bande später die Surfbretter stiehlt, beginnt ein todernster Konflikt zwischen den Alphamännern und dem verunsicherten Surfer.

    Mit jeder Entscheidung verschlimmert der Surfer fortan seine Situation. Bestohlen, unfair behandelt und verletzt, stauen sich seine Aggressionen ins Unermessliche. Bald verflucht er nicht nur die einschüchternde Bande, sondern die ganze Welt, die sich scheinbar gegen ihn verschworen hat.

    Das Mysterium Nicolas Cage

    Nicolas Cage hält für Hollywood-Verhältnisse einen außergewöhnlichen Platz in der Filmwelt inne, was sich auch auf den Filmfestspielen in Cannes bemerkbar macht. Betritt er den Saal, setzt sofort Massenapplaus ein, den die Veranstalter erst einmal in den Griff bekommen müssen. Doch was wird eigentlich beklatscht? Seine überdrehten Rollen der Vergangenheit? Die Tatsache, dass er immer wieder unter dem Radar läuft und die Filmwelt sehnlichst darauf wartet, dass ihm wieder eine grandiose Rolle zugeteilt wird? Die Vielseitigkeit, die konstant ins Extreme neigt? Oder einfach der Umstand, dass er, metaphorisch gesprochen, immer wieder von den Toten zurückkehrt (passend dazu: „Renfield“)? Es ist wohl von allem ein bisschen etwas, doch all das spielt in diesem Moment keine Rolle. Hauptsache es kommt Partystimmung auf, wovon „The Surfer“ deutlich profitiert.

    Männlichkeit im Kino

    Erst vor wenigen Wochen stellte „Civil War“ im Kino die Frage: „Was für ein Amerikaner bist du?“. „The Surfer“ schließt sich an und stellt eine weitere, sehr viel universellere Frage, gleichermaßen an den Protagonisten und Zuschauer: „Was für ein Mann bist du?“. An möglichen Antworten gibt es vermutlich nicht gerade wenig: Alpha, Beta, Sigma, Gamma – mittlerweile gibt es ein ganzes Vokabular, um männliche Wesenszüge zu kategorisieren. Diese Rollenverteilung macht sich „The Surfer“ zunutze und zeichnet ein auf den ersten Blick simples Ausgangsszenario. Während die Beach-Boys kernige Alphamänner abgeben, die vor Selbstbewusstsein nur so strotzen, scheint der Surfer erstmal ein unbeschriebenes Blatt zu sein. Pragmatismus und Lösungsorientierung prägen zwar seine Persönlichkeit, doch allein damit ist eine Kategorisierung kaum möglich.

    Ein Film mit Kultpotential

    „The Surfer“ wird sich schon vor diesem Hintergrund in den Kreisen von Männercoaches zum Kultfilm entwickeln, auch wenn er hin und wieder „nur“ ältere Filme zitiert, ganz vorn dran „Fight Club“ oder auch „Wie ein wilder Stier“, besonders dann, wenn es ums Leiden geht. Mit Zitaten wie „When you want to get up, you have to suffer.“ führt „The Surfer“ die Liste an inspirierenden Phrasen weiter und zeigt zynisch, aber auch mit einem Funken Ernsthaftigkeit, was einen Mann ausmacht.

    Ganz so intelligent ist „The Surfer“ stellenweise jedoch nicht, wie er es vorgibt. Überzeichnete Klischees wie die Gleichsetzung von Unmännlichkeit und Vegetarismus sowie Destruktivismus und Maskulinität sind zwei Beispiele, die im starken Kontrast zu der sonstigen Ideologie stehen, die das Drama aufgreift. Der Rest ist ein teils surrealer Psychothriller, in dem Cage genau das macht, was man von ihm erwartet. Nach „Dream Scenario“ geht es also mit „The Surfer“ direkt schillernd weiter und so lässt sich sagen: Bitte (noch) mehr davon!
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    (Michael Gasch)
    19.05.2024
    08:57 Uhr