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  • Bewertung

    Tilda Swinton lacht dem Tod ins Gesicht

    Exklusiv für Uncut von den Filmfestspielen in Venedig
    Pedro Almodóvar ist ein Auteur, wie er im Buche steht. Das ändert sich auch dann nicht, wenn der preisgekrönte Spanier („Alles über meine Mutter“, „Volver“) zur Abwechslung nach Hollywood pilgert. In „The Room Next Door“, seinem englischsprachigen Langfilmdebüt, findet man einige der gewohnten Markenzeichen wieder: farbprächtige Wohnungseinrichtungen, kauziger Humor, aufrechtes Melodrama, starke, selbstbewusste Frauenfiguren im Zentrum. Der offen homosexuelle Regisseur, der seine queere Identität auch meist in seine Arbeiten miteinbezieht, hat seine filmische Sprache erfolgreich ins Englische übersetzt. Man muss aber auch sagen: es braucht ein Weilchen, bis er dort ankommt.

    Sterbehilfe als Freundschaftsdienst

    Oscarpreisträgerin Julianne Moore brilliert in der Hauptrolle als Ingrid, die sich jüngst in der Kunstblase New Yorks als Autorin etabliert hat. Das bescheidene Leben der Schriftstellerin nimmt eine unerwartete Wende, als eine Freundin aus alten Tagen wieder mit ihr in Kontakt zu treten versucht. Martha (Tilda Swinton, ebenfalls Besitzerin eines vergoldeten Jungen) hat Gebärmutterhalskrebs im Endstadium. Es gibt keine Chance mehr auf Remission, sie steht mit einem Bein im Grab. Bevor ihr letztes Stündchen geschlagen hat, will die frühere Kriegsreporterin die vernachlässigte Freundschaft neu aufleben lassen. Als man sich wieder trifft, scheint es, als hätten die beiden einander erst gestern gesehen – so nah und liebevoll wirkt das Verhältnis. Das Vertrauen ist also da, nun wird Ingrid von ihrer Seelenverwandten um etwas gebeten, wo es großer Verantwortung bedarf. Martha will sich nicht mehr mit starken Schmerzen quälen müssen und ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen. Über das Internet besorgt sich die Totkranke eine Pille, mit der sie ihr Leben ein für allemal beenden kann. Um ihr noch ein paar angenehme Tage zu bereiten, soll Ingrid im Nebenraum einziehen. Ist ihre Zimmertür geschlossen, ist die Tat vollbracht – so das vereinbarte Codewort. Wie Schrödingers Katze spielt Almodovar, nahezu in Echtzeit, mit der Galgenspannung einer solchen Situation.

    Herrlichkeit im Leid

    Ganz und gar nicht plakativ. Sobald die Protagonistinnen das Domizil in Richtung Tod erreichen, wird der Film zum zärtlichen Porträt einer Frauenfreundschaft, die kein Ablaufdatum kennt – selbst über das Lebensende hinaus. Die anfänglichen Minuten sind, salopp ausgedrückt, jedoch gewöhnungsbedürftig. Zu hastig versucht Almodovar einen seine Figuren näherzubringen, der sonst feine Wortwitz scheint irgendwo in der Übersetzung verloren gegangen zu sein. Außerdem gibt es Rückblenden, die in ihrer Dialogschreibe – ob nun intendiert oder nicht – seltsam gestelzt und stümperhaft wirken. Je mehr man sich aber aufs Wesentliche beschränkt, der Film kleiner und intimer wird, fast schon theaterstückhaft, desto besser wird er. Es folgen Gespräche über vergangene Liebschaften, komplizierte Beziehungen zu den eigenen Kindern, dem Sterben, dem Leid, der Herrlichkeit. Man setzt ein klares Zeichen für Euthanasie, die in den USA weiterhin als verboten und verpönt gilt. Zu seinen besten Werken kann Almodovar „The Room Next Door“ aber nicht zählen – dafür braucht das innige Drama zu lange, bis es sich unnötigem Ballast entledigt. Wer Geduld mitbringt, dem erwartet ein schönes, überraschend freudiges Spätwerk, in dem vieles vergänglich ist, nur Freundschaft nicht.
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    (Christian Pogatetz)
    03.09.2024
    23:22 Uhr