Bilder: Warner Bros Fotos: Warner Bros
  • Bewertung

    Krawall ohne Knall

    Exklusiv für Uncut von den Filmfestspielen in Venedig
    Das Filmjahr 2019 stand ganz im Zeichen eines auf Krawall gebürsteten Schelms. Dem Erzwidersacher Batmans. Dem König des kalkulierten Chaos. Dem Joker. In Todd Phillips‘ Neuinterpretation der Comicfigur wurde dem Mann in Clownschminke eine weitaus tragischere, empathisch anmutende Origin-Story angedichtet. Anstatt um einen namenlosen Psychopathen, der nichts als Anarchie im Kopf hat, ging es um den Menschen Arthur Fleck. Ein traumageplagter Stand-Up-Komiker, der den aufgestauten Weltschmerz nicht mehr länger auf sich ruhen lassen wollte. Eine faszinierende, von Joaquin Phoenix grandios verkörperte Transformation, die von mancher Seite auch falsch ausgelegt wurde. Für eine kleine, aber lautstarke Online-Minderheit, wurde „Joker“ zum wütenden Weckruf der Missverstandenen. All jene, die andere für ihre Unzufriedenheit verantwortlich machen, die meinen, die gesellschaftliche Hierarchie hätte Schuld getragen an fehlenden sozialen Kompetenzen. Die sogenannte Incel-Kultur. Dass sein „Joker“ nie als unkritische Zelebrierung toxisch maskuliner Umsturzfantasien gedacht war, macht Phillips in der Fortsetzung klipp und klar. „Folie á Deux“, so der zugegeben clevere Titel, dekonstruiert auf einer Metaebene den Heldenkult, den die Hauptfigur nach seinen Taten in Teil eins um sich scharte. In der Fiktion wie auch im echten Leben. Ansonsten hat man leider ausgesprochen wenig zu erzählen. Bedauerlich, ist der Anfang noch ziemlich aufregend.

    Zwei Irre trällern „verrückte Melodien“ der Liebe

    Alles beginnt mit einer wundervoll handgezeichneten Hommage an alte „Looney Tunes“-Cartoons. Danach geht es ab ins Arkham Asylum, dem Hochsicherheitsgefängnis Gotham Citys, wo Fleck (Phoenix) nach seiner Mordtirade für seine Missetaten büßen soll. Dem Jammerlappen aus Teil eins ist ein selbstbewusster Möchtegernrevolutionär gewichen, der auch im Knast die Gemüter spaltet. Wo viel Hass, da die Liebe nicht weit entfernt: in der Gesangstherapie trifft er Harleen Quinzel, genannt Harley Quinn (Lady Gaga), die sich als große Verehrerin des mutmaßlich Missverstanden zu erkennen gibt. Den TV-Film, der über Fleck gedreht wurde – ein weiterer Meta-Gag über die Reaktion auf den Originalfilm – hätte die Brandstifterin mindestens zehnmal gesehen, gesteht sie ihrem Idol. Es entbrennt eine explosive Romanze zwischen zwei Verrückten. Man flüchtet sich in furios bebilderte Musical-Sequenzen, die an die ruhmreichen Zeiten des Soundstage-Musicals erinnern: nicht umsonst schmachten sich die Turtelnden zu einer Szene aus „Singing in the Rain“ an. In einem anderen toll ausgestatten Moment trällern sich Harley und Joker als „Sonny & Cher“, die Hommage liegt auf der Hand, glücklich verliebt durch eine Talkshow. Die Songs sind keine Originalstücke, sondern allesamt große Balladen und Pop-Hymnen. „Lieder, die Arthur mit seiner Kindheit assoziiert“, erzählte Todd Phillipps in der Pressekonferenz. So weit so gut.

    Jukebox-Musical trifft auf biederen Gerichtsthriller

    Als man Arkham-Asylum nach einer vielversprechenden halben Stunde wieder verlässt, gerät das Clownskarussell außer Rand und Band. Und das ist nicht als Kompliment zu verstehen. Der erfrischende Musical-Ansatz wird immer mehr zur Nebensache, stattdessen bekommt man einen uninteressanten Gerichtsthriller, in dem nochmal der erste Teil zurecht gerückt wird. Selbst Lady Gaga, die mit fulminanter Präsenz zu betören weiß, bleibt letztlich eine Randfigur. Der Versuch der Dekonstruktion der Figur und seiner Verehrer ist ehrenwert, geht aber nicht über oberflächliche Beobachtungen hinaus. Ja, „Folie Á Deux‘ ist kein gewöhnliches Sequel und die Probierlust kann man durchaus würdigen. Leider wirkt es, als hätte Philipps so viele Ideen in einen Topf geworfen, dass kaum Zeit blieb, eine einzige davon zu Ende zu denken. Das Drehbuch gleicht einem Erstentwurf, der viel Feinschliff vertragen hätte. Sobald der Musical-Glamour verstummt, der grün geblichene Anarcho-Spirit verwaschen ist, sieht man die Fortsetzung für das, was sie ist: ein großaufgeblasenes Nichts. Und darauf hätte man verzichten können.
    1705313743158_ee743960d9.jpg
    (Christian Pogatetz)
    06.09.2024
    21:27 Uhr