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    Das größte Naturexperiment aller Zeiten?

    Exklusiv für Uncut
    Naturdokumentationen lassen sich in vielen Fällen wie folgt voneinander abgrenzen: Entweder es handelt sich um die eine Sorte, die sich der Aufklärung verschrieben hat und mit Infografiken und naturwissenschaftlichen Erklärungen Inhalt vermittelt. Bei der zweiten Sorte, die mehr Fokus auf die Form legt, wird hingegen Ästhetik großgeschrieben. Dazwischen gibt es eine breite Palette von Grautönen. Mit „Wildes Land – Die Rückkehr der Natur“ kommt ein Film dazu, der sich irgendwo in der Mitte zwischen beiden Kategorien einfügt. Doch da ist noch mehr: In diesem Dokumentarfilm, der auf dem gleichnamigen Buch basiert, kommt eine ganz seltene Besonderheit hinzu.

    Darum geht’s: In den 1980er Jahren übernehmen Isabella Tree und Charlie Burrell das verfallene Knepp-Landgut in Südengland, ein über 400 Jahre altes Anwesen. Als sie gegen Ende der 1990er Jahre erkennen, dass ihr landwirtschaftlicher Betrieb finanziell nicht tragbar ist, starten sie ein ganz spezielles Experiment. Um den Boden wieder fruchtbar zu machen und das Sterben der Artenvielfalt aufzuhalten, überlassen sie die Farm der Natur. Es ist der Beginn eines der bemerkenswertesten Renaturierungsprojekte unserer Zeit.

    Die Natur wird’s schon richten

    Jenes Experiment ist die besagte Besonderheit, die den roten Faden der Dokumentation bildet. Denn direkt lässt sich die Frage stellen: Gab es schon jemals so ein fast schon größenwahnsinniges Unterfangen? Wir reden hier immerhin von einer Fläche von etwa 1400 Hektar – das entspricht beinahe 2000 Fußballfeldern. Größere Dimensionen müssen sich also erst einmal finden lassen, die für ein solches Wagnis genutzt werden könnten. Von Anfang an begleiten wir nun Isabella und Charlie und bekommen im Mega-Zeitraffer die Ergebnisse präsentiert. Vereint werden damit viele ökologische Themen der Gegenwart: Artensterben, Einsatz von Pestiziden, schwindende Bodenfruchtbarkeit, 200 Jahre so genannter „landwirtschaftlicher Fortschritt“. „Wildes Land – Die Rückkehr der Natur“ findet dadurch die perfekte Balance aus Gezeigtem und Erzähltem.

    Das, was gezeigt wird, kann sich dabei sehen lassen. Mit eindrucksvollen Vorher- und Nachher-Aufnahmen wird veranschaulicht, wie viel sich in ca. 20 Jahren geändert hat. Frei von Kritik ist die Dokumentation jedoch nicht, gerade dann, wenn zu sehr romantisiert wird. War das wirklich alles so kinderleicht, wie festgehalten wird, oder gab es da doch immer wieder Probleme und Hürden zu überwinden? Leicht undurchsichtig erscheint die Doku an der einen oder anderen Stelle, was jedoch nicht zu stark in Gewicht fällt. Das Konzept der Renaturierung will immerhin gut verkauft werden und ohnehin stellt sich die Frage: Will man hier alles so genau wissen, wenn nur das Endresultat zählt? Eigentlich nicht, denn dafür bieten diese Bilder bei all der Umweltzerstörung um uns herum zu viel Positivität und Hoffnungsschimmer, an denen man sich sattsehen kann.

    Die Dokumentation erinnert letztlich auch an einen Spruch, der nicht trivialer sein könnte: Menschen lieben Kreisläufe. Eine gewisse Faszination ist da vorhanden, wenn alle Tiere in Balance leben und das System sich schließt. Obgleich „Wildes Land – Die Rückkehr der Natur“ seine eigene kleine Märchenwelt präsentiert, in der auch göttliche Fügungen existieren, gibt es trotzdem genug zum Mitnehmen – sowohl bei der Form als auch beim Inhalt. Für diejenigen, die auf eine intensive Behandlung der ökologischen Themen hoffen, dürfte das Buch als ergänzende Lektüre eine willkommene Vertiefung sein.
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    (Michael Gasch)
    12.10.2024
    12:00 Uhr