Filmkritik zu Pfau - Bin ich echt?

Bilder: Polyfilm, Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion Fotos: Polyfilm, Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion
  • Bewertung

    Schillernder Vogel verliert sein Federkostüm

    Exklusiv für Uncut von den Filmfestspielen in Venedig
    Wer sich zu lange mit fremden Federn schmückt, wird irgendwann auf die Schnauze fliegen. Für Matthias (Albrecht Schuch), ein emigrierter Deutscher im Herzen Wiens, ist das Tarnspiel sein täglich Brot. Mit seinem besten Kumpel (Anton Noori) leitet er eine „Rent-a-Friend“-Agentur, die verspricht, der Einsamkeit einen Riegel vorzuschieben. Die Dienstleistung kann für jeden Anlass gebucht werden, selbstredend nur gegen Bezahlung. Ist die Konzertbegleitung ausgefallen? Soll bei einer großen Geschäftsgala der Schein des perfekten Sohnemanns aufrechterhalten werden? Oder will man sich auf Knopfdruck einen neuen Papa bestellen, der cooler ist, als es der echte je sein könnte? Nur ein kurzer Call und die Wunschvorstellung wird zur Realität. Die Rollen spielt Matthias für gewöhnlich selbst – mit großer Überzeugungskraft, wie die Bestwertungen seiner Kundschaft offenbaren. Doch es gibt eine Rolle, an der der Jungunternehmer noch dringend feilen muss, der es zunehmend an Glaubwürdigkeit mangelt: sein wahres, authentisches Ich.

    Wer bin ich?

    Der „Pfau“ im Langfilmdebüt des Salzburgers Bernhard Wenger ist Matthias höchstpersönlich. Dem farblich changierenden Federkleids des Vogels nicht unähnlich, kann er sein Wesen binnen Minuten ändern, zu einem ganz neuen Menschen mutieren. Anpassungsfähigkeit hat jedoch einen Preis, wie diese grenzgeniale Tragikomödie aufzeigt. Denn: hinter dem Charme und Charisma der Personas, zwischen denen er im Beruf chamäleonhaft wechselt, verbirgt sich eine leere Hülle. Ein langweiliges, nichtssagendes Männlein, dem es an Persönlichkeit und Empfindungsvermögen fehlt. Das findet auch Sophia (Julia Franz Richter), seine Ex, die der Zweisamkeit zu Beginn des Films aus gutem Grund ein Ende macht. Der nötige Weckruf und Start einer abenteuerlichen Selbstfindungsodyssee, die vor den Absurditäten des Alltags nicht Halt macht.

    Sensationsdebüt mit Schmäh und Stilsicherheit

    In der heimischen Kulturszene ist Regisseur Bernhard Wenger kein Unbekannter. Mit seinen erheiternden, formalästhetisch bestechenden Kurzfilmen, so etwa einer Beziehungsinventur vor alpiner Wellnesshotelkulisse („Entschuldigung, ich suche den Tischtennisraum und meine Freundin“) oder episodischen Wortgefechten auf der Skipiste („Aufnahmen einer Wetterkamera“, der Titel ist Programm), ist er seit Jahren Fixpunkt gefragter Festivals wie der Diagonale oder dem Max Ophüls Preis. Zwischenmenschliches wird nüchtern beobachtet, toxische Maskulinität auf den Prüfstand gestellt. Raum zum Atmen schafft die skurrile Situationskomik, die implodierende Männeregos so mit sich bringen. Seinem Stil und den wiederkehrenden Themen konnte das Salzburger Wunderkind auch in voller Spielfilmlänge treu bleiben. Erweitert um Fragen der Identität in einer künstlich erschaffenen Welt, in der impulsives Handeln abgestraft wird. Moderner Arbeitskulte, in denen das Individuum verloren geht, nimmt Wenger mit satirischer Finesse den Wind aus den Segeln. Wie sehr das Streben nach Professionalität und ständiger Abrufbereitschaft den Emotionshaushalt verstören kann, wird am Beispiel des Matthias drastisch vorgeführt. In symmetrischen Aufnahmen spiegelt sich der perfekt durchkonstruierte Alltag wider, über den der Dienstleistungsanbieter zunehmend die Oberhand verliert. Entgeistert starrt er in den Anfangsminuten den gemeinsamen, übergroßen Hund an, als die Partnerin das Beziehungsaus verkündet. Die Reaktion so leb- und seelenlos wie das aalglatte Luxusmobiliar um ihn herum. Die Bildsprache wird schräger, bunter, verspielter, je mehr er Herr seiner Gefühlslage wird. Je mehr er sich von der stoischen Teilnahmslosigkeit seines beruflichen Seins löst und diese reflektiert. Mit messerscharfer Klinge tänzelt das Drehbuch zwischen Tragik und Komik, oft im selben Atemzug. Ohne Sicherheitsnetz gerät Matthias von einem Fettnäpfchen ins nächste, meist begleitet von feinstem Austro-Galgenhumor. Bekannte Gesichter wie Maria Hofstätter, Branko Samarovski oder Marlene Hauser legen memorable Auftritte hin, die ungeniert in die heimische Seele blicken. Dass sich der aus Thüringen stammende Hauptdarsteller in diesem urösterreichischen Mikrokosmos wie ein irrlichternder Fremdkörper anfühlt, scheint ganz bewusst gewählt. Der chaotischen Reise, zwischen Desillusionierung und Wiedergeburt, nimmt sich Albrecht Schuch (bekannt aus „Systemsprenger“, „Im Westen nichts Neues“) jedenfalls mit bemerkenswertem Körpereinsatz und subtil gespielter Verletzlichkeit an. Mit „Pfau“ ist seinem Regisseur ein Wahnsinnsdebüt geglückt, das sich in einem ohnehin aufregenden Jahr für das österreichische Kino („Des Teufels Bad“, „Rickerl“) zu den großen Neuentdeckungen dazugesellen darf. So unberechenbar, vielschichtig und wunderhübsch wie das Gefieder seines titelgebenden Vogelviechs.
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    (Christian Pogatetz)
    14.10.2024
    12:40 Uhr