Bilder: The Walt Disney Company Fotos: The Walt Disney Company
  • Bewertung

    Enter the Void

    Exklusiv für Uncut
    Nichts hat in den vergangenen Jahren derart die Kinolandschaft dominiert, wie die Filme des Marvel Cinematic Universe, kurz MCU. Und nichts hat so sehr das heranströmende Publikum vereint, was sich direkt auf die Besucherzahlen auswirkte. Ein Rekord jagte den nächsten; es schien unaufhaltbar. Doch seit Avengers: Endgame steckt es in der Krise; die Einspielergebnisse sinken ebenso wie die Kritikerwertungen. Mit der Übernahme von 20th Century Fox hoffte Disney/Marvel den Fans Figuren zu bringen, für die lange die Rechte fehlten. Mit „Deadpool & Wolverine“ ist das nun erstmals der Fall.

    Ryan Reynolds kehrt in seiner Paraderolle als „Merc with the Mouth“ zurück und Hugh Jackman (oder eher „Huge Jacked Man“, der hat nämlich trotz der verhassten Strapazen wieder ordentlich den Oberkörper gestählt), mimt wider erwarten erneut den Mutanten-Berserker der ihn filmisch unsterblich machte. Und immer wenn die zwei interagieren dann läuft der Film auf Hochtouren, ob sie sich nun beleidigen oder bekämpfen. Die Social Media Streitereien der beiden Darsteller, die fast schon als eine Art frühes Marketing angesehen werden können (und vielleicht den nötigen Schubser gegeben haben, dieses Projekt zu realisieren) waren immer schon extrem amüsant. Wer sich also rein dafür auf den Film freut, der wird etwas für sein Geld geboten bekommen, soviel kann ich versprechen; am besten gar nicht weiterlesen.

    Für mich gehört aber leider ein bisschen mehr dazu als nur die Dynamik zweier Schauspieler. Ein Aspekt der immer wieder zum Erfolg beigetragen hat, war die gute Balance aus bewegenden Geschichten für den Durchschnittszuseher ergänzt von jeder Menge Easter Eggs für Comicleser. Man rühmte man sich damit, dass jeder jederzeit einsteigen konnte, ohne vorher viel gesehen haben zu müssen. Filme funktionierten eigenständig, abseits vom übergeordneten Universum. Sogar bei den bereits erwähnten gigantischen Crossover-Events wie Avengers: Infinity War und Endgame war das noch bis zu einem gewissen Grad der Fall. Mehrere Filme und dutzende Serien später, haben wir nun einen Punkt erreicht, wo man unbedingt Vorkenntnisse braucht um Schritt zu halten, allen voran die Serie „Loki“. Im Mittelpunkt steht die TVA welche die verschiedenen Zeitlinien überwacht. Oder die „Void“, eine Art post-apokalyptisch angehauchter Unterweltverschnitt, wo alle Figuren enden, die aus ebendiesen gestrichen wurden. Viel Kontext bekommt man nicht, es wird einfach vorausgesetzt, dass man mit dem Konzept vertraut ist.

    Mit dem Kopf durch die vierte Wand

    Was Deadpool immer hervorgehoben hat war sein Bewusstsein innerhalb eines Mediums zu agieren (egal ob Comic oder Bewegtbild). Das war beim ersten Mal noch witzig, und schwächelte in der Fortsetzung schon; vor allem, weil diese Vorgehensweise, ausgelöst durch den Erfolg von Deadpool, gefühlt ständig kopiert wird. Nun ist die Neuheit endgültig vorüber. Genutzt wird's zwar wieder um alles und jeden durch den Kakao zu ziehen; und Disney macht dabei nicht einmal vor sich selbst Halt, Respekt dafür. Doch nur weil man jetzt augenzwinkernd die Probleme und aktuelle Krise anerkennt, sind die nicht beseitigt. Nur weil man selbst langweilige Exposition zugibt, macht es die nicht akzeptabel. Und nur weil immer wieder darauf hingewiesen wird, dass für Deadpool ohnehin alles nur ein Witz ist, macht es diesen Umstand nicht weg. Der Versuch emotional zu werden, scheitert immer wieder kläglich; der nächste Joke wartet schon; warum überhaupt probieren? Und ob man die witzig findet, hängt stark davon ab, wie man zu Ryan Reynolds‘ Art steht. Auch die zeigt bei mir schon Abnützungserscheinungen.

    Eine langjährige Tradition des MCUs wird ironisch unironisch weitergeführt: unbedeutende, komplett zu vergessende Bösewichte, hier in der Form einer Mutantin, die in der „Void“ das Sagen hat. Ich unterlasse es bewusst ihren Namen für diese Kritik zu recherchieren um meine Aussage zu unterstreichen; ich kann mich weder daran erinnern wie sie heißt, noch was sie eigentlich will.

    Thank you for your (Fan) Service

    Wie man es spätestens seit der Einführung des Multiversums erwartet, geizt der Film selbstverständlich nicht mit „überraschenden“ Cameoauftritten. Nur da genau liegt der Hund begraben: man erwartet sie mittlerweile, egal wie absurd sie auch sein mögen. Die kommen in so einer Dichte und einem Tempo daher, dass man kaum Zeit hat sie zu verarbeiten, und verlieren durch den übertriebenen Einsatz komplett ihre Besonderheit. Unzählige bekannte Helden und Widersacher bekommen hier erneut eine Bühne, nur um rasch wieder das Zeitliche zu segnen. Auf die Geschichte (wenn man hier überhaupt von einer sprechen kann) haben sie keine Auswirkung. Was zählt ist pure Nostalgie, wenn man die also nicht kennt, löst es erst Recht gar nichts aus. Damit ist „Deadpool & Wolverine“ DER feuchte Traum für jeden Nerd. Nur genauso fühlt es sich dann für alle anderen an, wie das filmische Ausleben von Kindheitsfantasien. Ein paar Bilder die überaus offensichtlich direkt von der Comicseite gerissen wurden, sind zumindest nett anzusehen, werden aber am Durchschnittszuseher vorübergehen. Was bleibt ist NUR noch reiner Fanservice und kein wirklicher Film mehr.

    Jukebox Hero

    In dieser Schar an Helden ist aber der einzig wahre mit Abstand der Soundtrack. Die bunt gemischte Songauswahl macht direkt James Gunns Guardians Filmen Konkurrenz. Und ebenso wie dort muss man die Songs nicht mal mögen. Ob „Iris“ von den Goo Goo Dolls, Green Days „Time of your life“, oder ein episches Finale zu Madonnas „Like a prayer“, jeder Song fügt sich nahtlos in die Stimmung der jeweiligen Szene ein; gutes Timing und ein paar gekonnte Wortspiele sorgen dazu für die nötige Portion Witz. Zumindest die teilweise in Vergessenheit geratene Kunst eines guten Soundtracks dürfte Marvel noch in Ehren halten. Die extrem unterhaltsame Eröffnungssequenz zu NSYNC‘s „Bye Bye Bye“ ließ so anfangs noch Optimismus in mir aufkommen, dass das Ganze zumindest Spaß machen wird. Leider kam der bei mir irgendwann aber NUR noch von der Musik.

    For f*cks sake

    Obwohl ich vorher wusste, dass es sich hier um den ersten „R-rated“ Film des MCU handelt (das amerikanische Pendant zu unserer FSK 18 Freigabe), war ich anfangs doch etwas überrascht, als der Film um das F-Wort herumzutänzeln schien (wie man es eigentlich von den bisherigen Einträgen gewohnt ist). Und bin ziemlich schnell eines Besseren belehrt worden. Das Blut spritzt durch die Gegend, Gliedmaßen werden abgetrennt und Körper aufgespießt. An Gewalt mangelt es hier nicht im Geringsten. Und nicht an Dauerschimpftiraden. Es geht also munter weiter wie man es von den zwei Vorgängerfilmen unter Fox kennt. Nur fühlt es sich in diesem Fall stellenweise extrem aufgesetzt an; fast so als wolle man beweisen wie hart und erwachsen man doch auch bei Marvel sein kann. Wird man dann aber durch zahlreiche Querverweise an das bisherige „brave“ Universum erinnert, wirkt das unpassend und durch den Exzess eher pubertär. Selbst der Gag, dass beide Hauptcharaktere nicht sterben können, wenn sie sich tödliche Wunden zufügen ist irgendwann auserzählt. Meiner Meinung nach wäre hier weniger mehr gewesen.

    Noch nie hatte ein Marvel Film für mich so das Potenzial das Publikum zu spalten. Comic Anhänger werden ihn vermutlich lieben, gelegentliche Kinogeher sich komplett verloren fühlen. Als langjähriger MCU Fan aber Nicht-Comicleser stehe ich nun schweren Herzens auf letzterer Seite. Die Chancen auf eine positive Erfahrung stehen also 50-50. Und deswegen fällt schlussendlich auch meine Wertung so aus
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    (Markus Toth)
    25.07.2024
    17:47 Uhr