Filmkritik zu Sleep

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Es passiert bei Nacht

    Exklusiv für Uncut vom Slash Filmfestival
    Es war niemand Geringeres als Oscarpreisträger und Genre-Jongleur Bong Joon-ho („Parasite“), der das Erstlingswerk des Koreaners Jason Yu als die Horrorentdeckung der letzten Jahre huldigte. Zugegeben, unvoreingenommen ist diese Einschätzung nicht, hat der Regiedebütant zuvor ja bei Projekten Bongs assistiert. Der große Wurf, als der er angekündigt wurde, ist „Sleep“ ehrlicherweise auch nicht geworden. Dafür mit das originellste, unbehaglichste Stück Schlafwandlerhorror seitdem 1929 im „Kabinett des Dr. Caligari“ ein manipulierter Somnambule sein Blutbad verrichtete.

    Wenn Ruhe zum Ruin führt

    Soo-jin (Jung Yu-mi), Immobilienmaklerin und Hyun-su (der kürzlich verstorbene „Parasite“-Star Lee Sun-kyun), aufstrebender Schauspieler, sind glücklich verheiratet. Nachwuchs steht vor der Tür, ein neugieriger Zwergspitz saust durch ihre kleine Wohnung – ein Familienleben wie aus dem Bilderbuch. Dann, aus heiterem Himmel, mehren sich nachts verstörende Dinge. Hyun-su transformiert zum Schlafwandler, hört sich harmlos an, doch die Dinge, die der Familienvater von diesem Punkt im Trancezustand anstellt, lassen seine Gattin besorgt aufhorchen. Das Gesicht wird aufgekratzt, man verputzt rohe Lebensmittel und stürzt sich beinahe aus dem Fenster. Auch wenn die Ärzte die junge Familie beruhigen, ist sich Soo-jin sicher: irgendwas geht hier nicht mit rechten Dingen zu. Wird ihr Mann etwa von einem dämonischen Wesen kontrolliert? Lange kann das jedenfalls nicht so weiter gehen, das ist sich die junge Mutter immer mehr bewusst. Sie fürchtet um ihr Neugeborenes.

    Fein inszenierter Grusel, der zu viel erklärt

    Ob das verstörende Verhalten des Mannes übernatürlicher Natur ist oder sich rational erklären ließe, wird in der ersten Hälfte offen gelassen. Geschickt wird mit beiden Möglichkeiten geliebäugelt, in ihrer Schlaflosigkeit verliert Soo-jin zunehmend den Verstand. Spielt sich etwa alles nur in ihrem Kopf ab? Fragen, die man lange offen hält, derer man sich mal überzogen satirisch, mal maximales Unbehagen bereitend annähert. Wie Jason Yu das sich anbahnende Grauen, sei es nun eine Familien- oder Exorzismusgeschichte, inszeniert, lässt nicht kalt. Das Publikum erlebt den Film durch das hyperwachsame Auge seiner Protagonistin, schleichend macht sich Paranoia breit. Zumindest so lange, bis dann irgendwann der Boden unter den Füßen zusammenbricht und man zu drastischeren Mitteln greift. Plötzlich werden Details, die man sich vorher zwischen den Zeilen zusammenreimen konnte, in einem großen Monolog direkt ausgesprochen. Den Erklärbären, den man sich gegen Ende aufbindet, hätte sich der Film sparen können. Wenngleich: durch die Darbietung mittels PowerPoint-Präsentation kommt immerhin ein wenig Selbstironie mit ins Spiel. Den Intellekt seines Publikums unterschätzt diese sonst bemerkenswert begonnene Schlafwandler-Gruselperle mit dieser Entscheidung trotzdem. Etwas mehr Ambiguität hätte dem Finale gut getan. Wie sagt man doch: „Show, don’t tell“.
    1705313743158_ee743960d9.jpg
    (Christian Pogatetz)
    26.09.2024
    08:36 Uhr