Filmkritik zu Sew Torn

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Verstrickung derselben Geschichte

    Exklusiv für Uncut vom Slash Filmfestival
    Das klitzekleinste Detail kann den gesamten Verlauf einer Handlung ändern. Wie wäre die Situation ausgegangen, hätte die Hauptfigur den Pfad gewechselt? Ein einziger Schritt und es wäre anders gekommen. Eine Frage, die Tom Tykwer schon 1998 in seinem von wummernden Technobeats untermalten Sensationsdebüt „Lola Rennt“ zum Grübeln brachte. Vor den Augen des Publikums wurde Alternativszenario über Alternativszenario in hyperkinetische Bilder gegossen. In „Sew Torn“ unterzieht Regisseur Freddy Macdonald, der - man mag es bei all der Stilsicherheit kaum glauben - eben erst 24 Jahre alt geworden ist, seiner Protagonistin einem ähnlichen Gedankenexperiment. Das Erbe Lolas tritt die junge Barbara (Eve Connolly) an, die vor ein paar knifflige Entscheidungen gestellt wird. An der Stricknadel ist sie ein Ass, in einem Dörfchen, das von malerischen Landschaften umringt ist, führt sie eine kleine, überschaubare Schneiderei. Ihr Leben sollte eine radikale Wendung nehmen, als ihr auf einer Straße bewaffnete, blutüberströmte Ganoven entgegenkommen. Die Situation analysiert die smarte Barbara ganz genau, am Boden erspäht sie neben halbkaputter Motorräder wie verstreutem, weißen Pulver einen mysteriöser Aktenkoffer. Sie scheint sich sicher: der ist voller Geld. Was also tun? Das Geld nehmen, abhauen und den eigenen Shop vor dem Konkurs bewahren? Oder etwa dem dubiosen Duo helfen? Es rattert im Kopf.

    Das (gar nicht so) perfekte Verbrechen

    Ab diesem Punkt verbildlicht Regisseur MacDonald, wie im Vorbild aus Deutschland, eine Mehrzahl von Entscheidungspfaden und den jeweiligen Ausgängen. Barbara nennt ihre Idee immer wieder „the perfect crime“. Was da jedoch alles schief gehen kann, sieht man anhand diverser Twists und Turns, die sich die Thriller-Komödie zusammenreimt. Verschiedene Verhaltensweisen führen zu verschiedenen Ergebnissen, eh klar. Ein idiotensicheres Konzept, um trotz bewusster Repetition das Spannungsmoment bis zum Schluss aufrechtzuerhalten. Dass manche Gedankenspiele reizvoller erscheinen als andere, liegt selbstredend in der Natur einer solchen Struktur. Durch famoses Gespür für einzigartige Figuren, den schrulligen Charakterensembles aus den Filmen der Coen-Brüder nicht unähnlich, kommt der Unterhaltungswert nie abhanden. Und die sind bis in die kleinste Nebenrolle großartig. Beiläufig werden Traumata verarbeitet, ob nun der Tod der eigenen Mutter, deren schneiderisches Erbe sie fortführen will, oder die väterliche Manipulation, die einem der Kleingangster (Calum Worthy), die Barbara auf ihrer Odyssee begegnen, widerfährt. Nebst abstruser Komik bleibt genügend Platz, angedeutete Konflikte mit empathischen Fingerspitzengefühl aus der Welt zu schaffen. Was „Sew Torn“ darüber hinaus aber vor allem aus der Masse herausstechen lässt, ist das zum Anschmachten schöne Design. Das Nähmotiv hat man auf kreative Weise in die Ästhetik des Films verwoben, wenn ein neues Kapitel geöffnet wird, garnt eine seidene Texteinblendung durchs Bild. So mühelos, wie Barbara ihre Fäden zieht, tänzelt auch die farbstarke Kamera um sie herum. Ein entzückend quirliger Augenschmaus, an dem man sich nicht satt sehen kann. Tim Burton lässt grüßen.
    1705313743158_ee743960d9.jpg
    (Christian Pogatetz)
    26.09.2024
    09:31 Uhr