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  • Bewertung

    Gottlos

    Exklusiv für Uncut
    Stell dir vor, mitten in der Nacht klopft jemand an deine Tür, und nimmt dein Kind mit. Und das Ganze ist auch noch vollkommen rechtens. So passiert 1858 in Bologna. Marco Bellocchio rückt in „Die Bologna Entführung“ (Originaltitel: „Rapito“) den Fokus auf dieses dunkle Kapitel der Kirchengeschichte - mit teils verheerender Wirkung.

    Zu Beginn muss ich aber erst Kontext für meine weiteren Ausführungen bieten. Ich bin überzeugter Atheist und immer gewesen. Ich bin katholisch aufgewachsen „weil das halt so Tradition war“ und habe eine katholische Schule besucht für die vielversprechende Ausbildung. Ich habe lange Zeit nach einem Toleranzprinzip gelebt, doch in den letzten Jahren bin ich immer mehr auf Kriegsfuß mit der Kirche und auch Religion an sich.

    So gesehen rennt der Film bei mir also offene Türen ein. Ab dem ersten Moment, als der kleine Edgardo Mortara seinen Eltern entrissen wird, kam in mir ein solch unbändiger Hass auf, der nie wieder entschärft werden konnte. Jedes Mal wenn dazu Papst Pius IX zu sehen war, kam mir dazu fast das Mittagessen hoch, der wird nämlich derart karikaturhaft böse in Szene gesetzt, dass manche James-Bond-Widersacher zahm dagegen erscheinen. Sogar Adolf Hitler hat in „Der Untergang“ mehr menschliche Züge bekommen (und genau das hat die Darstellung ja so erschütternd erscheinen lassen). Die Kirche verkommt überhaupt zu einem mafiösen Kult mit Hirnwäscheauftrag. Ich kannte eben die Geschichte nicht und vielleicht ist alles komplett historisch akkurat; wie erwähnt, es bestätigt mich nur mehr in meiner Meinung. Nur manchmal kann die Realität einem Publikum nicht zumutbar sein. Mel Gibson hat einmal in „Hacksaw Ridge“ die wahre Geschichte seines Hauptcharakters etwas entschärft, da er Angst hatte, die Zuschauer würden es nicht glauben. Vielleicht wäre das auch hier besser gewesen.

    Und genau in diesem eigentlichen Moment der persönlichen Genugtuung, möchte ich aber des Teufels Anwalt spielen. Irgendwie kam in mir immer ein leichtes Gefühl auf, direkt angesprochen und dadurch manipuliert zu werden. Selbst ich mit meiner Kirchenfeindlichkeit sehe die wenigen guten Aspekte die Religion mit sich bringt (leider ist das Verhältnis zwischen Guten und Schlechten einfach mittlerweile zu extrem geworden), aber davon merkt man hier irgendwie gar nichts. Dadurch kommt der Blickwinkel sehr einseitig rüber. Anfangs wird dazu sehr wenig Kontext für das Ereignis gegeben. Denn auch wenn es stets moralisch falsch war, so dürfte es zumindest damals den dortigen Gesetzen zufolge legal abgelaufen sein. Und ich bin definitiv jemand der gelernt hat, historische Ereignisse nicht an aktuellen Maßstäben zu messen. Der politische Hintergrund wird aber lange nicht erklärt, wodurch das Gefühl eines Verbrechens nur stärker vorangetrieben wird. Wenn es um so ein brisantes Thema geht, finde ich das teilweise zu problematisch, auch wenn der Anspruch lediglich war ein Geschichtsdrama zu erzählen.

    Rein inszenatorisch wartet nämlich ein solider Historienfilm mit schönen Kostümen und ansehnlichen Sets auf die Zusehen, wobei hier schlicht aufgrund der Geschichte viel mit Innenaufnahmen gearbeitet wird. Gegen Ende kommt sogar ein wenig Action ins Spiel. Insgesamt handelt es sich auch eher um eine Chronologie der Ereignisse, als eine charakterzentrierte Erzählung. Für die Gefühlswelt der Figuren bleibt wenig Zeit, der vielleicht emotionalste Charaktermoment des Films wird schon relativ rasch abgefrühstückt für meinen Geschmack. Schuld daran haben keineswegs die Akteure, vom Papst bis zum jungen Darsteller des kleinen Edgardo werden lauter überzeugende Darstellungen geboten. Aber auch als aufwändig inszenierte Geschichtstunde ist er um einiges packender als zuletzt Ridley Scotts „Napoleon“.

    Von dem her fällt es mir extrem schwer eine Bewertung abzugeben. Einerseits fühle ich mich zu sehr vorgeprägt und möchte ihm darum am liebsten eine negative Bewertung aufdrücken, doch letztendlich habe ich mich für eine gerade positive entschieden, da filmisch für mich wenig zu kritisieren ist, und bin so irgendwo genau in der Mitte gelandet.

    Vielleicht bin ich aufgrund meiner Voreingenommenheit der Falsche für diesen Film. Mir hat er eine Geschichte nähergebracht, von der ich vorher nie gehört hatte, doch hat er in mir ein Feuer der Wut auflodern lassen. Die Verbrecher um die es geht, sollen jedenfalls verdammt sein und auf ewig schmoren im Feuer des Konstrukts das sie Hölle nennen.
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    (Markus Toth)
    25.06.2024
    14:42 Uhr