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67.5% Bewertung
  • Bewertung

    Gottlos

    Exklusiv für Uncut
    Stell dir vor, mitten in der Nacht klopft jemand an deine Tür, und nimmt dein Kind mit. Und das Ganze ist auch noch vollkommen rechtens. So passiert 1858 in Bologna. Marco Bellocchio rückt in „Die Bologna Entführung“ (Originaltitel: „Rapito“) den Fokus auf dieses dunkle Kapitel der Kirchengeschichte - mit teils verheerender Wirkung.

    Zu Beginn muss ich aber erst Kontext für meine weiteren Ausführungen bieten. Ich bin überzeugter Atheist und immer gewesen. Ich bin katholisch aufgewachsen „weil das halt so Tradition war“ und habe eine katholische Schule besucht für die vielversprechende Ausbildung. Ich habe lange Zeit nach einem Toleranzprinzip gelebt, doch in den letzten Jahren bin ich immer mehr auf Kriegsfuß mit der Kirche und auch Religion an sich.

    So gesehen rennt der Film bei mir also offene Türen ein. Ab dem ersten Moment, als der kleine Edgardo Mortara seinen Eltern entrissen wird, kam in mir ein solch unbändiger Hass auf, der nie wieder entschärft werden konnte. Jedes Mal wenn dazu Papst Pius IX zu sehen war, kam mir dazu fast das Mittagessen hoch, der wird nämlich derart karikaturhaft böse in Szene gesetzt, dass manche James-Bond-Widersacher zahm dagegen erscheinen. Sogar Adolf Hitler hat in „Der Untergang“ mehr menschliche Züge bekommen (und genau das hat die Darstellung ja so erschütternd erscheinen lassen). Die Kirche verkommt überhaupt zu einem mafiösen Kult mit Hirnwäscheauftrag. Ich kannte eben die Geschichte nicht und vielleicht ist alles komplett historisch akkurat; wie erwähnt, es bestätigt mich nur mehr in meiner Meinung. Nur manchmal kann die Realität einem Publikum nicht zumutbar sein. Mel Gibson hat einmal in „Hacksaw Ridge“ die wahre Geschichte seines Hauptcharakters etwas entschärft, da er Angst hatte, die Zuschauer würden es nicht glauben. Vielleicht wäre das auch hier besser gewesen.

    Und genau in diesem eigentlichen Moment der persönlichen Genugtuung, möchte ich aber des Teufels Anwalt spielen. Irgendwie kam in mir immer ein leichtes Gefühl auf, direkt angesprochen und dadurch manipuliert zu werden. Selbst ich mit meiner Kirchenfeindlichkeit sehe die wenigen guten Aspekte die Religion mit sich bringt (leider ist das Verhältnis zwischen Guten und Schlechten einfach mittlerweile zu extrem geworden), aber davon merkt man hier irgendwie gar nichts. Dadurch kommt der Blickwinkel sehr einseitig rüber. Anfangs wird dazu sehr wenig Kontext für das Ereignis gegeben. Denn auch wenn es stets moralisch falsch war, so dürfte es zumindest damals den dortigen Gesetzen zufolge legal abgelaufen sein. Und ich bin definitiv jemand der gelernt hat, historische Ereignisse nicht an aktuellen Maßstäben zu messen. Der politische Hintergrund wird aber lange nicht erklärt, wodurch das Gefühl eines Verbrechens nur stärker vorangetrieben wird. Wenn es um so ein brisantes Thema geht, finde ich das teilweise zu problematisch, auch wenn der Anspruch lediglich war ein Geschichtsdrama zu erzählen.

    Rein inszenatorisch wartet nämlich ein solider Historienfilm mit schönen Kostümen und ansehnlichen Sets auf die Zusehen, wobei hier schlicht aufgrund der Geschichte viel mit Innenaufnahmen gearbeitet wird. Gegen Ende kommt sogar ein wenig Action ins Spiel. Insgesamt handelt es sich auch eher um eine Chronologie der Ereignisse, als eine charakterzentrierte Erzählung. Für die Gefühlswelt der Figuren bleibt wenig Zeit, der vielleicht emotionalste Charaktermoment des Films wird schon relativ rasch abgefrühstückt für meinen Geschmack. Schuld daran haben keineswegs die Akteure, vom Papst bis zum jungen Darsteller des kleinen Edgardo werden lauter überzeugende Darstellungen geboten. Aber auch als aufwändig inszenierte Geschichtstunde ist er um einiges packender als zuletzt Ridley Scotts „Napoleon“.

    Von dem her fällt es mir extrem schwer eine Bewertung abzugeben. Einerseits fühle ich mich zu sehr vorgeprägt und möchte ihm darum am liebsten eine negative Bewertung aufdrücken, doch letztendlich habe ich mich für eine gerade positive entschieden, da filmisch für mich wenig zu kritisieren ist, und bin so irgendwo genau in der Mitte gelandet.

    Vielleicht bin ich aufgrund meiner Voreingenommenheit der Falsche für diesen Film. Mir hat er eine Geschichte nähergebracht, von der ich vorher nie gehört hatte, doch hat er in mir ein Feuer der Wut auflodern lassen. Die Verbrecher um die es geht, sollen jedenfalls verdammt sein und auf ewig schmoren im Feuer des Konstrukts das sie Hölle nennen.
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    25.06.2024
    14:42 Uhr
  • Bewertung

    Lasset die Kinder zu mir kommen

    Die Geschichte der katholischen Kirche lässt sich mit zwei simplen lateinischen Wörtern zusammenfassen: Mea culpa. Wir alle wissen, was das heißt. Der Zimmermann aus Nazareth, gekreuzigt, gestorben, begraben und wiederauferstanden von den Toten, würde sich, wäre er noch dort, im Grabe umdrehen. Er hätte wissen müssen, dass dem Wesen Mensch wohl kaum mit der Bergpredigt beizukommen wäre. Er hätte wissen müssen, dass Macht, wo sie auch zur Verfügung stünde, allen anderen Werten voran uneingeschränkte Priorität genießt. Das war damals so, ist heute so, und wird auch immer so sein. Welches Instrument eignet sich da nicht am besten, um das Volk gefügig zu machen? Religion – schrecklich, gnädig und massentauglich. Die Sünder zu lenken wird ein leichtes. Und leicht missbrauchbar, das zeigt eine lange Liste an Verfehlungen.

    Doch Entschuldigung hin oder her – wie oft die Kirche noch reuevoll zu Kreuze kriechen will, um sich von diesen reinzuwaschen – ich weiß es nicht. Irgendwann ist es auch mal gut, irgendwann sind Bittgesuche um Vergebung nur noch Worthülsen. Bei Sichtung von Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes (im Original schlicht Rapito, was so viel heisst wie Entführung) kommt man schließlich zu einem Punkt, an dem es sichtlich schwerfällt, den Soutaneträgern nochmal die Hand zu reichen. Mag sein, dass diese Verfehlung schon einige Zeit zurückliegt, genauer gesagt rund eineinhalb Jahrhunderte, doch Unrecht wie dieses hat das Zeug dazu, einfach nicht zu verjähren.

    Diese Wut im Bauch steigert sich noch weiter, je unverfrorener die Katholische Kirche im Namen Jesu Christi im Italien des 19. Jahrhunderts zu Werke geht. Wieder mal ringen die Konfessionen um Daseinsberechtigung, vor allem die des jüdischen Glaubens. Es wäre zu erwarten gewesen, dass Papst Pius IX, damals Oberhaupt auch über Bologna, religiöse Minderheiten schon vorab aus seinem Territorium verbannt hätte. Doch um ein nicht ganz so diktatorisches Bild an die Weltöffentlichkeit zu vermitteln, durfte schließlich auch auf hebräisch das Essens- und Abendgebet gesprochen werden. Welch Gnade. Die findet aber bald ihr jähes Ende, wenn es darum geht, auch nur versehentlich auf christliche Weise getaufte Juden einer jüdischen Erziehung zu überlassen. So muss die Familie Mortara in verzweifelter Ohnmacht mitansehen, wie ihr siebenjähriger Spross Edgardo von den Handlangern des Klerus entführt und nach Rom überstellt wird, direkt in die Arme des Papstes. Die Familie Mortara setzt alle Hebel in Bewegung, die zur Verfügung stehen, um den verlorenen Sohn wieder zurück in die familiäre Obhut zu bringen. Vor allem die Presse erfährt davon, die ganze Welt scheint erbost – doch Pius IX., damals verdammt mächtig und über ganz Rom herrschend, lässt sich von niemandem die Leviten lesen. Derart herablassende Machtmenschen könnten sso manchem finsteren Charakter aus Game of Thrones das Weihwasser reichen – die Vorbilder für George R. R. Martins Intrigenepos kommen nicht von irgendwoher, sondern finden sich vielleicht genau dort, in den vatikanischen Gemächern. Ein Junge wie Edgardo hat da keine Chance. Und muss zusehen, wie der militante Katechismus in die Gänge kommt, um auch ihn umzupolen – wie auch viele andere seines Alters.

    Was Ridley Scott vielleicht für die USA, ist Marco Bellocchio für sein Heimatland Italien: Einer, der die Geschichte als großes Erlebniskino auf die Leinwand wuchtet, der Emotionen wachkitzelt und sein Publikum packt. Gelungen ist ihm das bereits mit Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra. Jetzt gelingt ihm das ein zweites Mal. Sein True Crime-Skandalchronik um den Mortara-Fall ist echauffierendes Erlebniskino, pompös wie eine Oper und hantiert geschickt mit genretypischen Tropen, ebenso wie Ridley Scott. Beide wollen das Rad nicht neu erfinden, beiden ist es vor allem wichtig, Wendepunkte und Schlagzeilen der Geschichte so zu illustrieren, dass sie als hochdramatischer Eyecatcher für die Massen funktionieren. Es wird wohl kaum jemanden geben, der sich nicht in die Szenarien der beiden Entertainment-Historiker (und das ist nicht abwertend gemeint) hineinfinden könnte. Dafür werden Knöpfe gedrückt, die das Gemüt der Zuseher triggern, vor allem der geschichtsinteressierten. Denn das ist immerhin Voraussetzung. Würden einem Schlagzeilen aus der Sakristei sowieso nicht tangieren, dann wars das schon. Ist aber gerade das von brennendem Interesse, vor allem in Zeiten wie diesen, in denen der Antisemitismus wieder aus dem Tartarus kriecht und Glaubenskriege ohnehin, wie schon seit jeher, den Nahen Osten ins Massaker stürzen, lässt sich mitansehen, wie Die Bologna-Entführung noch ein paar weitere Tröpfchen Öl ins Feuer gießt. Die Kirche ist bei dem, was war und dem was ist, schließlich kein Zaungast. Das schreiende Unrecht unter Papst Pius IX. bringt nicht nur die geifernde Machtgier einer Religion ans Licht, sondern auch ihr Verhältnis zum Judentum. Am besten gelingt sowas anhand eines Einzelschicksals, wie eben das des Edgardo Mortara, den man letztlich als verlorenen Sohn und gewonnenes Schaf für faschistoide Glaubenshirten verzeichnen wird müssen. In einer kongenialen Traumsequenz sieht man, wie der Junge Christus vom Kreuz befreit – und dieser von dannen zieht. Hätte der Messias es selbst gekonnt, hätte er seiner eigenen Kirche längst den Rücken gekehrt.

    Hinzufügend ist zu bemerken, dass die katholische Weltsynode eben erst ohne große Ergebnisse zu Ende ging. Wichtige Themen zur Reformation einer völlig obsoleten Machtstruktur bleiben anscheinend unverhandelbar. Klar, dass die an den Hebeln der Macht sitzenden ihren Zugang nicht verlieren wollen. Das wollte Pius IX. auch nicht.
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    04.11.2023
    17:47 Uhr