Bilder: 20th Century Fox, The Walt Disney Company Fotos: 20th Century Fox, The Walt Disney Company
  • Bewertung

    Versöhnung, Verneigung und Furcht

    Exklusiv für Uncut
    Das Fremde. Seit jeher Bestandteil kultureller Sinnstiftung. Es fasziniert, es grenzt ab, es definiert. Auch Romulus und Remus wurden sich im Angesicht der Gründung Roms fremd. In seinem Stolz gekränkt, erschlägt Romulus den Bruder. Jetzt sind beide namensgebende, geschwisterliche Teile eines Raumschiffes, auf dem sich der blanke Horror abspielt. „Alien: Romulus“ setzt atmosphärisch an beim Mythos, bei Ridley Scotts Meisterwerk „Alien“ aus 1979. Schafft er inhaltliche Kontinuität, erzeugt er ähnlich berauschende Angstgefühle oder ist er ein schaler Genre-Abklatsch?

    Die Sage von Romulus und Remus verarbeitet sich nicht nur im Namen der Raumschiffhälften, sondern auch in den Figuren. Zentral ist das Geschwisterpaar Rain (Cailee Spaeny) und Andy (David Jonsson), deren Intimität dem Film einen menschlichen Anstrich gibt - in einer Umgebung blutrünstiger Aliens und zwiespältiger Androiden. Beide werden versklavt im Minenbergbau auf einem kolonisierten Planeten, entstanden aus Terraforming ohne Sonnenstrahlen. Das Worldbuilding kommt zur Einführung etwas kurz, ist aber ansehnlich und verlockend. In weiteren Fortsetzungen gerne mehr von den real-futuristischen Welten. Eingesperrt in ewiger Dunkelheit, schlagen Versuche der legalen Flucht fehl, sodass ein letzter Ausweg die Plünderung eines alten Raumschiffs im Orbit des Planeten ist. Gemeinsam in einem kleinen Team - mit u.a. Tyler (Archie Renaux) und Kay (Isabela Merced) – rechnet die klassische Konstellation nicht mit unliebsamen Insassen, die ihr Vorhaben in einen Wettlauf um Leben und Tod wandeln.

    Ursprünglich hatte es Ridley Scott anders geplant. Nach den vier Ellen-Ripley-Filmen startete er die Vorgeschichte mit „Prometheus“ (2012), fand eine gute Mischung aus Kontinuitäts-Prequel und Suche nach dem Ursprung der Menschheit. Weniger Horror-Grauen als Thriller über Panspermie, der These, dass der Funke für unser irdisches Leben aus dem All kommt. Mit dieser Verschiebung war das Publikum weniger zufrieden. Deshalb erschien 2017 „Alien: Covenant“. Ein Zugeständnis an die Fans trotz weiterhin pseudo-intellektueller Untertöne. Abschließen wollte Scott seine Prequel-Trilogie mit einem weiteren Film, alle warteten sehnsüchtig auf finale Antworten. Doch dem schob Disney den Riegel vor. 2019 kauft Disney das Filmstudio 20th Century Fox, beendete Scotts Pläne und begann neue.

    Wo verorten wir „Alien: Romulus“? Als Interquel. Es ist Zeit der Wortneuschöpfungen. Man quetscht eine erklärende Handlung zwischen zwei frühere Filme. Die Vorgeschichte um den Androiden David aus Covenant: abgebrochen. Romulus fährt zügig weiter und positioniert sich zwischen „Alien“ (1979) und Camerons „Aliens“ (1986). Auch dramaturgisch findet man Anleihen an beide Klassiker: wir erleben sowohl unheimlichen Horror als auch schießwütige Action.

    Bei den Proben gab es riesiges Lob vom Meisterregisseur höchstpersönlich: „It’s fucking great” sagte Ridley Scott. Auch James Cameron äußerte sich positiv. Und das nicht zu Unrecht. Die erste Hälfte, die Etablierung, die Exposition, die ersten Kontakte mit einer Armee von Facehuggern, die Alien-Befruchtungen – alles, was das Fanherz begehrt, wird mit ausgesprochenem Fanservice aufgetischt. Romulus kehrt zu den Wurzeln zurück, veranstaltet ein Schaulaufen der Xenomorphe mit biologistischem Body-Horror und viel Blut. Die Erweiterung der Palette um die Farbe Rot sieht in der Raumschiffarchitektur fantastisch aus. Vor allem gleicht der uruguayische Regisseur Fede Alvarez sein Werk inszenatorisch an die Meilensteine an. Piepende Töne im Herzrythmus, hohe Kontraste im Wechselspiel aus Hartschatten und heller Beleuchtung sowie langsame Kamerafahrten bezeugen Respekt vor den Klassikern. Auch die an „2001“ erinnernde orchestrale Musik von Benjamin Wallfisch (u.a. „Blade Runner 2049“) überzeugt. Ausgesprochen gelungen und explizit bedeutsam sind die praktischen Effekte. Die wiederbelebte Crew aus „Aliens“ präsentiert mit animatronischen Kostümen, physischen Miniatur-Sets und nachgebauten Glibber-Wesen die authentische, beklemmende Atmosphäre. Romulus hebt sich damit gegen den CGI-Wahnsinn aktueller Blockbuster ab, obgleich das berechnende Wiedersehen sich an bekannten Topoi und bekannter Ikonographie bedient („Get away from her, you bitch!“). Originell ist Romulus nur manchmal.

    Den jungen Cast trägt Cailee Spaeny mit einer guten Darbietung. Nach „Priscilla“ und „Civil War“ ihre dritte große Rolle in knapp einem Jahr. Ein vielversprechender Karriereaufschwung. Ganz so zwischen-menschlich ist die Beziehung zu ihrer Bruderfigur im Film nicht, stellt sich Andy schon früh als Maschinenmensch, als Android heraus, dessen Zielkonflikte für Verwirrung und moralische Dilemmata sorgen. Die Fremdheit wird hier zu Nähe und Gemeinschaft. Fast eine Versöhnung zwischen KI und Menschheit. Dabei feiern wir nicht nur ein Wiedersehen mit Androiden, die genauso die Bedrohung vor dem Fremden repräsentieren wie die Xenomorphe.

    Dass der Machart der Tiefgang zum Opfer fällt, überrascht nicht. Nur in Ansätzen relevante Personen, Identifikation ist nicht notwendig, da die Besatzung genauso wenig überraschend den Aliens zum Opfer fällt. Auch aus philosophischer Sicht wenig Neues: die Spiegelung des Fremden auf den entfremdeten Menschen, Probleme der sexuellen Leiblichkeit, Hybris der Menschen in ihrem Umgang mit Natur, Klima und Tieren. Insbesondere das Ende mit einer extrem ekelhaften Szene, bei der sich laut Aussagen der Darstellerinnen sogar das Produktionsteam abwenden musste, ist eher mittelprächtig. Der Body Horror wird mit der Symbiose aus Mensch und Xenomorph auf die Spitze getrieben. Gefällt sicherlich nicht allen. Hier wird Romulus keine Publikumsmehrheiten gewinnen, für Fans des Franchises und des Genres ist genug dabei, um den Film wertzuschätzen.

    „Alien: Romulus“ ist selten. Nicht wegen des Grundsettings, was als siebter Teil der Alien-Filmreihe auch schwer möglich ist. Nicht wegen Handlung oder Figurenzeichnung. Aber wegen der Inszenierung in Zeiten entsetzlicher CGI-Material-Multiversums-Blockbuster. Fede Alvarez versammelt einen jungen Cast, in dem Cailee Spaeny mit Bravour vorangeht, und dreht eine filmische Verneigung. Eine Verbeugung vor den alten Meistern im Stile einer Space-Opera. Mit real-praktischen Effekten und einer klaustrophobischen Bildsprache kommt das Grauen in bedrohlicher Atmosphäre. Fan-Puristen mögen sich an diesem Action-Horror-Schauspiel sattsehen. Für alle anderen ist es eine sinnlich-organische Angsterfahrung, in der weniger die Sage von Rom eine Rolle spielt als die tiefenpsychologische Angst vor dem und actionreiche Bekämpfung des Fremden. Auch das (subjektiv) misslungene Ende bewahrt das Werk vor einer besseren Rezeption.
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    (André Masannek)
    14.08.2024
    14:17 Uhr
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