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    In der Komfortzone des Monsters

    Aus dem Filmuniversum rund um den Terminator lässt sich nicht viel mehr lukrieren als jenen Content, den wir bereits aus James Camerons beiden Teilen kennen. In jener Welt, in welcher der Xenomorph sein Unwesen treibt, sieht das ganz anders aus. Das mag wohl daran liegen, dass selbst in Ridley Scotts Original nicht nur ein Monster die Besatzung eines Raumfrachters dezimiert, sondern gewisse Metaebenen wie jene eines dystopischen Konzerntotalitarismus als ungreifbare Zweitbedrohung für Unwohlsein sorgen. Exekutiert hat diesen evolutionären Kapitalismus ein Android namens Ash, der anfangs so schien, als würde er für das Gemeinwohl der Besatzung handeln, letztlich aber dafür verantwortlich war, dass alles so weit kam, wie es kommen musste, um jenen Horrorthriller in den Annalen des SciFi-Genres zu verankern, der dank des Scheiterns von Jodorowsky’s Dune sein Potenzial zu nutzen wusste. Der Schweizer H. R. Giger hatte dazu gleich ein künstlerisch hochwertiges Wesen geschaffen, daraus und in diesem Stil hunderte Spielarten einer gattungsgleichen Biologie in den Weltraum geschossen – immer auf Augenhöhe mit einer künstlichen Intelligenz, die stets eine Affinität für diesen gewissenlosen Organismus entwickelt, die voll und ganz dem darwin’schen Credo Survival of the Fittest folgt. Wer als größter Egoist im Universum keinerlei Skrupel hat, auf Kosten anderer Arten an die Spitze der Nahrungskette zu gelangen, hat gewonnen. Roboter helfen dabei. Konzerne wie Weyland-Yutami genauso. Das alles und noch viel mehr spielt in Alien eine große Rolle – und jene, die aufgrund dieser Tatsache ins Gras beißen müssen, sind nur der schnöde Beweis dafür, dass es funktioniert. Immer und immer wieder.

    All diese Komponenten erneut zusammenzubringen, dafür hat Fede Alvarez (Don’t breathe, Evil Dead) einen Spagat gewagt, der auf verblüffende und wenig aufdringliche Weise so gut wie alles, was bisher im Dunstkreis der Aliens entstanden war, unter einen Hut bringt – oder anders formuliert: in eine verlassene Raumstation packt, wo Furchtbares passiert. Eine schönere Spielwiese im SciFi-Horrorgenre gibt es kaum. Wenn man aber vermutet, dass Alvarez gar Ridley Scotts beide Prequels einfach so ignoriert, um das Monster auf seine Essenz zurückzuwerfen, hat nicht verstanden, dass sich der perfekte Killer niemals mit sich selbst begnügt. Das wäre zu wenig. Die Symbiose mit Geburt, Fortschritt und Untergang der Menschheit wird dieses als Testimonial für Weltenumspannendes zu sehendes Ungetüm stets eingehen – das macht es so interessant, so faszinierend, ohne dass es dabei das rätselhaft Mythologische verliert, was ihm anhaftet.

    Dass Alvarez dem Original in vielerlei Hinsicht huldigt, ohne es zu kopieren, ist offensichtlich. Ganz zu Beginn, in der Epilog-Szene des Films, könnten Puristen des Franchise feuchte Augen bekommen. Nahtlos knüpft Alien: Romulus am Ursprung an, ohne ihn zu verwässern. Sound, Setting, die Komposition aus Licht, Schatten und mit alarmierenden Countdowns einhergehende, blinkende Farb- und Lichtspiele – stilsicher schenkt Alvarez dem Alien seine Convenience-Zone und verlässt sie nur am Ende, um ganz andere Erzählfäden aufzugreifen, die man längst lose herumhängen gesehen hat. Diese Fäden zieht Alvarez straff – und schickt diesmal keine desillusionierte Arbeiterklasse oder abgestumpfte Soldaten ins Rennen, sondern Mittzwanziger-Kolonisten, deren Zukunft noch bevorstehen könnte, sofern sich die Parameter ändern lassen. Eine verlassene Raumstation im Orbit soll all das noch in petto haben, was fünf Freunde und ein Android benötigen würden, um das triste Leben auf ihrem Arbeiterplaneten hinter sich zu lassen. Nichts ahnend, dass dieser schmucke Kreisel, der alsbald mit den Ringen des Planeten kollidieren wird, darüber hinaus eine Forschungsstation für sonderbare Lebensformen gewesen sein mag, werden Caley Spaeney (Priscilla), Isabela Merced und Co alsbald mit den uns bekannten und beliebten Facehuggern konfrontiert, die nur der Anfang einer Metamorphose darstellen, die letztlich das Alien freisetzt.

    Der Plot ist schnell umrissen, die Komplexität desselbigen entsteht aber durch eine Vielzahl grimmiger Hürden, die diese simple Struktur zu einem Survivalthriller aufmotzen, der allerlei technisch-physikalischen Herausforderungen unterliegt. Das Alien mag der Auslöser sein, doch ist es längst nicht alles. David Jonsson als ambivalenter Android legt eine exzellente Performance hin, die Ian Holm ebenbürtig scheint – sein Handeln beeinflusst vieles in diesem Film. Das Xenomorph selbst mag fast schon selbst mit dem technischen Wahnsinn dieser Raumstation zu hadern – frei nach dem Motto: Mitgehangen, mitgefangen. Womit Fede Alvarez aber überfordert zu sein scheint, ist die Wahrnehmung von Zeit – womit manche Logiklöcher entstehen, die man nicht näher hinterfragen sollte, will man sich die Laune an dieser bereichernden Episode nicht nehmen. Uncanny Valley-Effekte, die aufgrund dessen, ein altbekanntes Gesicht zurückholen zu wollen, in gruseliger Deutlichkeit etwas befremden – auch darüber lässt sich hinwegsehen. Der Brückenschlag zur Vorgeschichte eines Phänomens gelingt jedoch vorzüglich. Und so unterfüttert und festigt Alvarez mit künstlerischem Mehrwert und albtraumartig-fantastischen Bildern, die einen Zeichner wie Alfred Kubin mit Lovecraft’scher Leidenschaft ins Weltall katapultiert, in vielleicht gar nicht beabsichtigter Intensität das ganze Universum, in welchem noch so einiges zu holen ist.



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    18.08.2024
    16:35 Uhr
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    Versöhnung, Verneigung und Furcht

    Exklusiv für Uncut
    Das Fremde. Seit jeher Bestandteil kultureller Sinnstiftung. Es fasziniert, es grenzt ab, es definiert. Auch Romulus und Remus wurden sich im Angesicht der Gründung Roms fremd. In seinem Stolz gekränkt, erschlägt Romulus den Bruder. Jetzt sind beide namensgebende, geschwisterliche Teile eines Raumschiffes, auf dem sich der blanke Horror abspielt. „Alien: Romulus“ setzt atmosphärisch an beim Mythos, bei Ridley Scotts Meisterwerk „Alien“ aus 1979. Schafft er inhaltliche Kontinuität, erzeugt er ähnlich berauschende Angstgefühle oder ist er ein schaler Genre-Abklatsch?

    Die Sage von Romulus und Remus verarbeitet sich nicht nur im Namen der Raumschiffhälften, sondern auch in den Figuren. Zentral ist das Geschwisterpaar Rain (Cailee Spaeny) und Andy (David Jonsson), deren Intimität dem Film einen menschlichen Anstrich gibt - in einer Umgebung blutrünstiger Aliens und zwiespältiger Androiden. Beide werden versklavt im Minenbergbau auf einem kolonisierten Planeten, entstanden aus Terraforming ohne Sonnenstrahlen. Das Worldbuilding kommt zur Einführung etwas kurz, ist aber ansehnlich und verlockend. In weiteren Fortsetzungen gerne mehr von den real-futuristischen Welten. Eingesperrt in ewiger Dunkelheit, schlagen Versuche der legalen Flucht fehl, sodass ein letzter Ausweg die Plünderung eines alten Raumschiffs im Orbit des Planeten ist. Gemeinsam in einem kleinen Team - mit u.a. Tyler (Archie Renaux) und Kay (Isabela Merced) – rechnet die klassische Konstellation nicht mit unliebsamen Insassen, die ihr Vorhaben in einen Wettlauf um Leben und Tod wandeln.

    Ursprünglich hatte es Ridley Scott anders geplant. Nach den vier Ellen-Ripley-Filmen startete er die Vorgeschichte mit „Prometheus“ (2012), fand eine gute Mischung aus Kontinuitäts-Prequel und Suche nach dem Ursprung der Menschheit. Weniger Horror-Grauen als Thriller über Panspermie, der These, dass der Funke für unser irdisches Leben aus dem All kommt. Mit dieser Verschiebung war das Publikum weniger zufrieden. Deshalb erschien 2017 „Alien: Covenant“. Ein Zugeständnis an die Fans trotz weiterhin pseudo-intellektueller Untertöne. Abschließen wollte Scott seine Prequel-Trilogie mit einem weiteren Film, alle warteten sehnsüchtig auf finale Antworten. Doch dem schob Disney den Riegel vor. 2019 kauft Disney das Filmstudio 20th Century Fox, beendete Scotts Pläne und begann neue.

    Wo verorten wir „Alien: Romulus“? Als Interquel. Es ist Zeit der Wortneuschöpfungen. Man quetscht eine erklärende Handlung zwischen zwei frühere Filme. Die Vorgeschichte um den Androiden David aus Covenant: abgebrochen. Romulus fährt zügig weiter und positioniert sich zwischen „Alien“ (1979) und Camerons „Aliens“ (1986). Auch dramaturgisch findet man Anleihen an beide Klassiker: wir erleben sowohl unheimlichen Horror als auch schießwütige Action.

    Bei den Proben gab es riesiges Lob vom Meisterregisseur höchstpersönlich: „It’s fucking great” sagte Ridley Scott. Auch James Cameron äußerte sich positiv. Und das nicht zu Unrecht. Die erste Hälfte, die Etablierung, die Exposition, die ersten Kontakte mit einer Armee von Facehuggern, die Alien-Befruchtungen – alles, was das Fanherz begehrt, wird mit ausgesprochenem Fanservice aufgetischt. Romulus kehrt zu den Wurzeln zurück, veranstaltet ein Schaulaufen der Xenomorphe mit biologistischem Body-Horror und viel Blut. Die Erweiterung der Palette um die Farbe Rot sieht in der Raumschiffarchitektur fantastisch aus. Vor allem gleicht der uruguayische Regisseur Fede Alvarez sein Werk inszenatorisch an die Meilensteine an. Piepende Töne im Herzrythmus, hohe Kontraste im Wechselspiel aus Hartschatten und heller Beleuchtung sowie langsame Kamerafahrten bezeugen Respekt vor den Klassikern. Auch die an „2001“ erinnernde orchestrale Musik von Benjamin Wallfisch (u.a. „Blade Runner 2049“) überzeugt. Ausgesprochen gelungen und explizit bedeutsam sind die praktischen Effekte. Die wiederbelebte Crew aus „Aliens“ präsentiert mit animatronischen Kostümen, physischen Miniatur-Sets und nachgebauten Glibber-Wesen die authentische, beklemmende Atmosphäre. Romulus hebt sich damit gegen den CGI-Wahnsinn aktueller Blockbuster ab, obgleich das berechnende Wiedersehen sich an bekannten Topoi und bekannter Ikonographie bedient („Get away from her, you bitch!“). Originell ist Romulus nur manchmal.

    Den jungen Cast trägt Cailee Spaeny mit einer guten Darbietung. Nach „Priscilla“ und „Civil War“ ihre dritte große Rolle in knapp einem Jahr. Ein vielversprechender Karriereaufschwung. Ganz so zwischen-menschlich ist die Beziehung zu ihrer Bruderfigur im Film nicht, stellt sich Andy schon früh als Maschinenmensch, als Android heraus, dessen Zielkonflikte für Verwirrung und moralische Dilemmata sorgen. Die Fremdheit wird hier zu Nähe und Gemeinschaft. Fast eine Versöhnung zwischen KI und Menschheit. Dabei feiern wir nicht nur ein Wiedersehen mit Androiden, die genauso die Bedrohung vor dem Fremden repräsentieren wie die Xenomorphe.

    Dass der Machart der Tiefgang zum Opfer fällt, überrascht nicht. Nur in Ansätzen relevante Personen, Identifikation ist nicht notwendig, da die Besatzung genauso wenig überraschend den Aliens zum Opfer fällt. Auch aus philosophischer Sicht wenig Neues: die Spiegelung des Fremden auf den entfremdeten Menschen, Probleme der sexuellen Leiblichkeit, Hybris der Menschen in ihrem Umgang mit Natur, Klima und Tieren. Insbesondere das Ende mit einer extrem ekelhaften Szene, bei der sich laut Aussagen der Darstellerinnen sogar das Produktionsteam abwenden musste, ist eher mittelprächtig. Der Body Horror wird mit der Symbiose aus Mensch und Xenomorph auf die Spitze getrieben. Gefällt sicherlich nicht allen. Hier wird Romulus keine Publikumsmehrheiten gewinnen, für Fans des Franchises und des Genres ist genug dabei, um den Film wertzuschätzen.

    „Alien: Romulus“ ist selten. Nicht wegen des Grundsettings, was als siebter Teil der Alien-Filmreihe auch schwer möglich ist. Nicht wegen Handlung oder Figurenzeichnung. Aber wegen der Inszenierung in Zeiten entsetzlicher CGI-Material-Multiversums-Blockbuster. Fede Alvarez versammelt einen jungen Cast, in dem Cailee Spaeny mit Bravour vorangeht, und dreht eine filmische Verneigung. Eine Verbeugung vor den alten Meistern im Stile einer Space-Opera. Mit real-praktischen Effekten und einer klaustrophobischen Bildsprache kommt das Grauen in bedrohlicher Atmosphäre. Fan-Puristen mögen sich an diesem Action-Horror-Schauspiel sattsehen. Für alle anderen ist es eine sinnlich-organische Angsterfahrung, in der weniger die Sage von Rom eine Rolle spielt als die tiefenpsychologische Angst vor dem und actionreiche Bekämpfung des Fremden. Auch das (subjektiv) misslungene Ende bewahrt das Werk vor einer besseren Rezeption.
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    14.08.2024
    14:17 Uhr