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  • Bewertung

    Wer schön sein will, muss leiden

    Exklusiv für Uncut vom Slash Filmfestival
    Mit ihrem zweiten Regiewerk hat Coralie Fargeat im Rahmen der prestigeträchtigen Filmfestspiele vom Cannes den Preis für das Beste Drehbuch gewonnen. Nun durfte ihr satirischer Bodyhorrorfilm das Slash Filmfestival eröffnen und machte dabei dem Spirit des Festivals alle Ehre.

    Nachdem es einzige Jahre still um den Hollywoodstar geworden war (eine wohl kaum zufällige Gemeinsamkeit mit ihrer Figur im Film), wird die französisch-englische Koproduktion als Demi Moores große Comebackrolle gefeiert. In weiteren Rollen sind außerdem Margaret Qualley und Dennis Quaid zu sehen.

    Einst Hollywoods gefragteste Darstellerin und Gewinnerin zahlreicher Preise, sieht sich Elisabeth Sparkles mit der Realität konfrontiert, dass ihre goldenen Jahre längst vorbei ist. Im Fernsehen ist die Mittfünfzigerin nur noch als Moderation einer antiquierten Fitnessshow zu sehen. Als ihr der schmierige Fernsehproduzent (Dennis Quaid) eröffnet, dass sie gegen ein jüngeres „Modell“ ausgetauscht werden soll, fällt die gekränkte Elisabeth aus allen Wolken. Sie verursacht in ihrem gekränkten Zustand einen Autounfall, und erfährt im Krankenhaus von einem Schwarzmarktmedikament, welches Leuten in ihrer Situation helfen soll, eine bessere Version ihrer selbst zu werden. Frustriert wagt sie sich die mysteriöse Substanz zu testen, die sie wieder zum glamourösen Star machen soll, der sie einst gewesen ist.

    Dass Carolie Fargeats Werk nicht leise und versteckt an ein Thema heranführen möchte, sondern äußerst plakativ und mit voller Wucht das Thema Schönheitsideale auf die Leinwand wirft, mag im ersten Moment für manche:n Zuseher:in wenig tiefgründig oder repetitiv wirken, wer sich das 141 Minuten lange Werk bis zum Schluss ansieht, wird dafür jedoch gewiss mit einigen Überraschungen belohnt.
    In geradezu unbequemer Art und Weise folgen wir der Kamera, die mit reihenweise Nahaufnahmen (weiblicher) Körperteile den Gegensatz von schön und hässlich vermitteln möchte, sich scheinbar dem „male gaze“ unterwirft, und diesen letztendlich doch ad absurdum führt.

    Schauspielerisch zeigt sich Demi Moore (Ghost, Eine Frage der Ehre), die Mitte der 90er die höchstbezahlte Schauspielerin Hollywoods war, von einer völlig anderen Seite als ihre Paraderollen sie gezeigt haben. Der emotionale Wandel ihres Charakters zwischen Depression und Wahnsinn gelingt ihr einwandfrei. Auch Margaret Qualley (Poor Things, The Nice Guys) weiß in „The Substance“ zu überzeugen, vor allem im letzten drittel des Films gibt es für sie vor allem körperlich viel zu tun. Doch die wohl ungewöhnlichste Castingwahl ist gewiss Dennis Quaid, der in letzter Zeit vermehrt mit seiner Unterstützung Trumps im Präsidentenwahlkampf in den Medien untergekommen war, besonders ironisch ist daher seine Rolle als Produzent Harvey, der als offensichtliche Karikatur einer gleichnamigen Persönlichkeit, platte Machismem von sich gibt und als Personifizierung der Hollywoodindustrie darstellt, wie junge Frauen unmöglichen Schönheitsstandards obliegen.

    Wer glaubt, dass der Film trotz seiner verhältnismäßig langen Laufzeit an Geschwindigkeit verliert, hat sich gewaltig geschnitten: Die letzten dreißig Minuten würden selbst Bodyhorrorgroßmeister David Cronenberg respektvoll den Hut ziehen lassen. Doch nicht nur Cronenberg scheint ein wichtiger Einfluss für Fargeats Zweitwerk gewesen zu sein, weitere Anspielungen an Genreklassiker wie „Shining“, „Braindead“ oder aber auch die weniger bekannte Horrorkomödie „Society“ stechen deutlich hervor.

    Mit „The Substance“ etabliert sich Regisseurim Carolie Fargeat endgültig als nicht weg zu denkender Fixpunkt im internationalen Genrekino. Messerscharf zeigt die Satire sämtliche Extreme des Schönheitswahns auf und geizt dabei nicht an Körperflüssigkeiten und Schockmomenten. Nichts für empfindliche Mägen!
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    (Julia Pogatetz)
    21.09.2024
    13:25 Uhr