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  • Bewertung

    Atmosphärisches Zombiedrama aus Norwegen

    Exklusiv für Uncut vom Slash Filmfestival
    Es kann gut sein, dass die Vermarktung von Thea Hvistendahls „Handling the Undead“ nicht die einfachste Aufgabe ist. Die ‚Undead‘, also die Untoten, bevölkern das Genrekino meist als Vampire, von glitzernd bis zu unansehnlichen Monstern, oder als Zombies. Die Regisseurin geht in Richtung Zombies der ruhigen Art. Sie verwendet für ihre Geschichte einen Roman des schwedischen Autors John Ajvide Lindqvist als Vorlage, mit dem sie gemeinsam am Drehbuch gearbeitet hat.

    Abseits von altbekannten Pfaden

    Die beiden verleihen ihren untoten Figuren aber eine eigene Mythologie. Zumindest in Ansätzen, um vom Mysterium nicht allzu viel wegzunehmen. „Handling the Undead“ ist aber weder typischer Zombiehorror à la „Dawn of the Dead“ noch Zombiekomödie wie „Zombieland“ oder „Shaun of the Dead“. Hvistendahl macht ihren Film zu einem gediegenen, atmosphärischen Drama über große Themen wie Leben, Verlust und Trauer.

    Kleine Leute, große Fragen

    Hvistendahl entwickelt die Geschichte langsam, während gleich zu Beginn die feierlich-getragene Musik in ihren Bann zieht. Die Regisseurin folgt im ersten Abschnitt einigen Hinterbliebenen in ihrem Alltag. Manchmal nah, manchmal aus der Vogelperspektive. Ganz klein werden die Figuren, verschwinden in der Landschaft. Ganz groß sind die Fragen und Gefühle, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen, um selbst zu überleben.

    Auferstehung der Toten

    Ein kompletter Stromausfall setzt in der Großstadt Oslo ein unerklärliches (und unerklärtes) Phänomen in Gang. Dem äußerst unangenehmen Lärmen von Radios und anderen Geräten folgt völlige Dunkelheit. Dann ist ein leises Klopfen aus dem Sarg eines toten Kindes zu hören. Opa befreit den Burschen, der nicht der/die einzige Tote ist, der/die zu den Angehörigen zurückkehrt, und bringt ihn zu seiner Mutter (Renate Reinsve, bekannt aus „The Worst Person in the World“).

    Kann die Wiederkehr Trauer verjagen?

    Hvistendahl erforscht die Auswirkungen der plötzlichen Auferstehung des Kindes, der Mutter, Ehefrau oder Geliebten. Dazu folgt die Regisseurin den Familien in ihre eigenen vier Wände, beleuchtet Dynamiken, ausgelöst durch die Wiederkehr der Verstorbenen. Doch sind sie noch dieselben? Was tun mit ihnen? Sie erschießen, wie im Zombie-Shooter-Game, in das Flora zu Beginn des Films so vertieft ist? Sie komplett untersuchen, um eine medizinische Erklärung oder gar Lösung zu finden? Oder kann gar der ganz normale Familienalltag wieder einkehren, Trauer verjagen? Auch, wenn die Anzeichen des Todes – dank des Make-up-Teams – deutlich zu sehen sind.

    Ästhetik der Impressionen und Symbole

    Regisseurin Hvistendahl sorgt für beeindruckende, symbolisch aufgeladene Bilder, um die Frage, was Leben eigentlich bedeutet, zu stellen. Der Schauplatz: eine Großstadt mit riesigen, unpersönlichen Wohnhäusern, sterile Arbeitsplätze, zu einem Mausoleum mutierende Innenräume, aber auch Straßen, Wälder, Seen. Über allem liegt ein grauer Schleier. Meisterlich und hochemotional erzählt sie nur mit Symbolen des Alltags, untermalt mit Stille, von den Opfern. Kaum aus dem Gedächtnis zu bekommen sind die Monster- und Saurierfiguren in der Wohnung, in der es kein Kindergeschrei gibt. Ähnlich emotional aufgeladen sind die Szenen des Wiedersehens mit den Untoten. Die Versuche, die verloren geglaubten Personen in den leeren Augen wiederzufinden.

    Ein bleierner Sog

    Der eine oder andere Jumpscare durchbricht die langsam erzählte Geschichte. Für härtere Horrorfans könnte das zu wenig sein; sie sind trotz der Titelkreaturen allerdings klar nicht die Zielgruppe. Spannung im engen Sinn wird nämlich kaum geboten. Es ist eigentlich ausschließlich emotionale Spannung, die durchaus ankommen sollte. Berührende Szenen zwischenmenschlicher Beziehungen, beeindruckende, trauer-schwere Bilder und mystisch-düstere Musik erzeugen einen Sog; wenn man die Geduld aufbringen kann, sich darauf einzulassen. (Was nicht immer einfach ist.) Hvistendahls Film gibt nicht auf jede Frage klare Antworten, lässt viel Raum zum Nachdenken. Raum, das Leben der Figuren selbst weiterzuspinnen.

    „Handling the Undead“ ist eine nicht allzu leicht konsumierbare, mystisch-emotionale Reise jenseits von lauten, spannungsgeladenen Zombiepfaden.
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    (Ursula Rathensteiner)
    30.09.2024
    22:33 Uhr
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