Filmkritik zu Maria

Bilder: FilmNation Fotos: FilmNation
  • Bewertung

    Singendes Kehlchen im Goldkäfig

    Exklusiv für Uncut von den Filmfestspielen in Venedig
    Für gequälte Frauenfiguren mit historischem Bezug hat Pablo Larraìn viel übrig - das sind keine Neuigkeiten. In seinem englischsprachigen Debüt „Jackie“ gab Natalie Portman die Witwe John F. Kennedys zu der schwierigsten Zeit ihres Lebens: als sich diese Tage nach der Ermordung ihres Gatten im Kreuzfeuer der Medien wiederfand. Mit „Spencer“ schenkte Kristen Stewart Lady Di die Würde zurück, die ihr vom britischen Königshaus und Boulevardblättern genommen wurde. Was als Trilogie über missverstandene, geschundene, komplexe Damen im Goldkäfig geplant war – der chilenische Regisseur bezeichnet es als die „Ladies-with-heels-trilogy“ (zu Deutsch: „Damen mit Stöckelschuhen“) – wird mit einer weiteren Persönlichkeit moderner Zeitgeschichte abgeschlossen. Einer Frau, die jahrelang auf der Bühne funktionieren musste, während sie doch am liebsten ihr eigenes Liedchen geträllert hätte: Maria Callas. Ihr stimmgewaltiger Sopran machte Callas, einer einfachen Familie aus Griechenland entspringend, in den 1950ern zum glühenden Stern der Opernszene. Im Privaten hat die Diva aber unter dem Ruf gelitten. Das Streben nach Perfektion, die ihr unerreichbar schien, hat der Sängerin den Verstand geraubt. 1977 dann das tragische Ende: im Alter von 54 Jahren erlag sie einem tödlichen Herzinfarkt; die Nachwehen jahrelangen Medikamentenmissbrauchs und physischer Selbstgeißelung. „Maria“ fokussiert sich auf die letzten Lebenstage der Sopranistin, inszeniert diese als furiosen Rausch zwischen surrealen Wahnvorstellungen, empathischen Gelegenheitsgesten und graugetünchten Erinnerungen an eine glorreiche Vergangenheit, die hinter der Bühne gar nicht so glorreich war.

    Die Rolle ihres Lebens

    Die verletzliche Rolle der Callas wurde einer Schauspielerin überreicht, deren Wahl auf den ersten Blick überraschen mag: Schauspiel-Superstar Angelina Jolie. Dabei ist die Besetzung ein Geniestreich, lassen sich zwischen der Hollywood- und der Opern-Diva doch so einige Parallelen entdecken. Wie Callas stand auch Jolie unter dem medialen Druck, das Bild einer perfekten Ehe zu wahren. Mittlerweile weiß man: diese hat es gar nie gegeben. Nachdem problematische Details über den Rosenkrieg mit Ex-Partner Brad Pitt ans Licht kamen, wurde sie in den letzten Jahren durch den Boulevardzirkus getrieben. Als Schauspielerin sah man sie zuletzt 2021 im Marvel-Flop „The Eternals“. In Larraìns feinfühligem Biopic darf sich die Oscarpreisträgerin („Girl, Interrupted“) den ganzen Frust von der Seele spielen und singen (ja, sie hat zum Großteil selbst gesungen). Und das mit einer Darbietung, die weniger protzig und aufmerksamkeitsheischend ist, als sich vermuten ließe. Die Performance lebt von feinen, subtilen Nuancen: den desillusionierten Blicken, den Unsicherheiten überspielenden Hang zu Humor, dem herzhaften Lachen in raren Momenten der Zuversicht. Als dann später tatsächlich die großen Gesten folgen, mit kränkelnder Stimme der Schmerz vom Leib geschrien wird, tut das nach dem ruhigen Aufbau umso mehr weh. So viel sei gesagt: in der kommenden Oscar-Saison wird Jolies Name das eine oder andere Mal bestimmt fallen. Der fantasierende Überbau - der Realitätsverlust spiegelt sich in übersteigerten, opernesk anmutenden Bildern wieder – ist manchmal etwas zu dick aufgetragen. Es sind die menschlichen Momente dazwischen, in denen „Maria“ ungemein zu berühren weiß. Wenn denn zum Beispiel das sorgsame Hauspersonal zum Kartenspiel lädt. Da zeigt sich auch wieder die große Stärke von Larraìn als Regisseur: die kleinen, intimen Gesten einzufangen, die das Leben erst lebenswert machen. Selbst in Zeiten des Sturms.
    1705313743158_ee743960d9.jpg
    (Christian Pogatetz)
    30.08.2024
    09:18 Uhr