Filmkritik zu Babygirl

Bilder: Constantin Film Fotos: Constantin Film
  • Bewertung

    Verbotene Liebe und verpfuschte Orgasmen

    Exklusiv für Uncut von den Filmfestspielen in Venedig
    Dem modernen Film fehlt es an Erotik. Ein Vorwurf, der polemisch klingen mag, an dem aber was dran ist. Waren Lust und Begierde in den 80er- und 90er-Jahren – auch und vor allem im Mainstream – essentielle Grundbausteine des Kinos, sind diese verklemmter Prüderie und Sexlosigkeit gewichen. Im sonst aufgeklärten 21. Jahrhundert ein Schritt in die falsche Richtung. Dass es auch anders geht, beweist Halijna Rejin in ihrem Film. Mit „Babygirl“ würdigt die niederländische Regisseurin und Schauspielerin (verantwortlich für die tolle Gen-Z-Slasher-Satire „Bodies Bodies Bodies“) das verstaubte Genre des Erotikthrillers, als Anhaltspunkte nahm sie mitunter das transgressive Schaffen von Landsmann Paul Verhoeven. Dem schlechtgealterten „Male Gaze“, der Filmen dieser Zunft gelegentlich nachgesagt wird, wurde ein zeitgemäßer, feministischer Twist verabreicht. Ein ambitioniertes Projekt, dem etwas mehr Feinschliff gutgetan hätte. Aber: Worum geht’s denn eigentlich?

    Sexuell frustrierte Nicole Kidman verführt jungen Praktikanten

    Romy (Oscarpreisträgerin Nicole Kidman) hat eigentlich alles erreicht, was es zu erreichen gibt: einen Spitzenjob als Firmenchefin, kerngesunde Kinder, einen Ehemann, der sie aufrecht liebt. Über ihr Leben hält sie gut Kontrolle. Doch da gibt es eine Sache, die ihr sauer aufstößt: wenn sie und Gatte Jacob (ein wunderbarer Antonio Banderas) im Bett liegen, kommt sie einfach nicht zum Höhepunkt. Der sexuelle Frust nimmt ein Ende, als sie dem deutlich jüngeren Praktikanten Samuel (Harris Dickinson) näherkommt. Der Beginn eines verbotenen Flirts, für den die Karrierefrau vieles aufs Spiel setzt.

    Sexuelle Selbstentdeckung und toxische Machtspielchen

    Das Problem, dass einige Frauen selten oder nie einen Orgasmus erleben, ist traurige Gewissheit. Einer Studie zufolge sollen gerade mal 20% aller Frauen weltweit zum Höhepunkt kommen, der Rest muss faken. Diese selten beachtete Problematik setzt den Anker für viele spannende Diskussionen zu sexuellen Tabuthemen. Man ist sich uneinig über Consent, Machtverhältnisse und den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen Spaß im Bett und genuiner Liebe. Für Romy und Samuel wird die Affäre zum Wettbewerb, bei dem immer unbedingt eine der Parteien die Oberhand behalten möchte. Dieses Katz-, Maus- und Kinkspiel ist eine Weile lang unterhaltsam mitanzuschauen. Halina Rejin versteht es inszenatorische Mechanismen des männlichen Blicks so umzukehren, dass eine frische, feministische Perspektive geöffnet wird. Leider wird sich aber gelegentlich im Ton vergriffen. Viel zu schlagartig wird zwischen verstörend anmutender Grenzüberschreitung und heiterer Sexkomödie, reifem Erotikdrama und juvenilem Schmuddelfilmchen gewechselt. Die Vorbilder liegen auf der Hand, werden aber zu platt nachgeahmt. Gleichzeitig will man einen modernen Zeitgeist treffen, der sich mit den Inspirationen nicht immer vereinbaren lässt. Ein paar Szenen wirken, als würde man das nächste große Internetmeme lostreten wollen. Dafür aber zu bemüht. Dass „Babygirl“ trotz aller Plattheit einigermaßen gut funktioniert, ist seiner unerschrockenen Hauptdarstellerin zu verdanken. Hollywood-Star Nicole Kidman, die in der Pressekonferenz in Venedig nicht davor zurückschreckte, über Unsicherheiten mit der Rolle zu reden, füllt diese mit Leben und Leidenschaft aus. Es ist ein schwieriger Spagat zwischen Selbstsicherheit und Verletzlichkeit, den die 57-Jährige mit voller Körperhingabe meistert. Kidmans natürliche Darbietung gibt dem Film eine Greifbarkeit, eine geerdete Dimension, die in anderen Händen unsichtbar geblieben wäre. Dem Skript allein, so begrüßenswert der freie Umgang mit Sexualität und Frausein mittleren Alters auch sein mag, fehlen feine Nuancen. Wenn „Babygirl“ aber für etwas steht, dann für die Rückkehr einer Art Film, dem man ehemals fast im Wochentakt zu Gesicht bekam: erwachsenes, furchtlos freizügiges Kino, das einen den eigenen Umgang mit Begehren überdenken lässt. Auch wenn die Klinge beim nächsten Mal gerne etwas feiner sein darf.
    1705313743158_ee743960d9.jpg
    (Christian Pogatetz)
    01.09.2024
    11:54 Uhr