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    Shyamalan und das Killer-Konzert

    Exklusiv für Uncut
    M. Night Shyamalan ist zurück: für die einen ein Geschenk, die anderen ein Graus. Der Regisseur, der einst mit Wunderwerken wie „The Sixth Sense“ und „Unbreakable“ als „neuer Spielberg“ von sich reden machte, spaltet heute die Gemüter. Ein Ruf, für den der Filmemacher mit indischen Wurzeln bestimmt seinen Teil geleistet hat. Mitte der 2000er entfernte er sich kontinuierlich von dem, was seine Filme auszeichnete: keine Mysterien, ja keine spannenden Wendungen mehr, stattdessen banale Familienunterhaltung ohne Handschrift und Verstand. Er wollte sich dem Studiosystem anbiedern, seinen Wegbestreitern zeigen, dass auch er nach klassischen Hollywood-Regeln spielen könnte. Dass Night, der bürgerlich Manoj Nelliyattu Shyamalan heißt, sich und seiner Karriere damit keinen Gefallen tat, hat er später selbst begriffen. 2015, kaum ein Studio will an diesem Punkt noch seine Projekte finanzieren, wagt er daher einen riskanten Schritt: von nun an sollte er seine Filme aus eigener Tasche bezahlen. Studiogepfusche würde er damit umgehen und sich selbst auf das Mindeste reduzieren - da ist Kreativität gefragt. Und die kann man, das wissen selbst seine größten Gegner, Shyamalan nicht absprechen. Mit seinen folgenden Produktionen - „The Visit“, „Split“, „Glass“, „Old“ und „Knock at the Cabin“ - besinnt er sich auf seine Horror-Herkunft zurück und erzielt durch die geringen Produktionskosten Erfolg über Erfolg; die Kinokassen danken es ihm. Dass die Filme weiterhin anecken, verwundert aber kaum. Shyamalan hat eine ganz eigene Art des Dialogschreibens, vom publikumskonformen Naturalismus weit entfernt und fälschlicherweise gelegentlich als „unfreiwillig komisch“ abgetan. Wer sich mit ihm und seiner Persona genauer befasst, der weiß aber: nichts ist hier von unabsichtlicher Natur. Shyamalan hat die Kontrolle über sein Schaffen zurückgewonnen, das steht auch mit „Trap“, dem aktuellsten Vertreter seines erneuerten Thriller-Katalogs, ohne Zweifel fest.

    Ein Killer in der Konzertfalle

    Wie hätte es ausgesehen, wenn Ted Bundy bei einem Popkonzert geschnappt worden wäre? Was wäre, wenn übergroße Sternchen wie Taylor Swift oder Beyoncé plötzlich als Lockvögel für einen gesuchten Serienkiller herhalten müssten? Fragen, die Shyamalan bei der Entstehung von „Trap“ womöglich durch den Kopf gingen. Dabei klingt die Ausgangssituation harmlos. Cooper (Josh Hartnett) will seiner Tochter Riley (Ariel Donaghue) einen Gefallen tun und begleitet sie zum Auftritt ihres großen Idols: Pop-Prinzessin Lady Raven (Saleka). Noch vor Ankunft des Megastars herrscht Kreischalarm beim halbstarken Publikum. Auch der Papa genießt die Atmosphäre des Großkonzerts, gemeinsam mit seinen Sprössling wirft er sich mitten ins Teenie-Getümmel. Der Familienvater führt allerdings ein dunkles Doppelleben, von dem niemand weiß: verdeckt agiert er als Serienkiller, der seine Opfer brutal zerteilt. Der Spitzname „The Butcher“ („der Schlächter“), dem ihn die Medien gegeben haben, kommt nicht von irgendwo – genauso wenig sein schelmisches Grinsen. An diesem Tag ist der Killer aber außer Dienst: eigentlich will er einen entspannten Tag mit seiner Tochter genießen. Dass er mitten in eine Falle getappt ist, ahnt er zu diesem Zeitpunkt nicht. Erst als er großes Polizeiaufgebot wahrnimmt, wird ihm mulmig zumute. Ein Security-Mann gibt ihm heimlich Auskunft: „Man wurde informiert, dass der „Butcher“ heute vor Ort sein werde und habe daher alle Ausgänge verriegelt.“ Ohne Kontrolle kommt niemand hinaus. Der Anfang eines Katz-und-Maus-Spiels, aus dem der Schlächter sich herauszutricksen versucht.

    Nepotismus und Nervenkitzel

    Ein überaus spannendes Konzept, dessen Ausgangspunkt auch im realen Leben ein väterlicher Gefallen war. Die Sängerin, deren Konzert hier in glanzvoller Gigantomanie bebildert wird, ist nämlich Shyamalans eigene Tochter und die performten Songs die ihrigen. Schamlose Selbstpromo? Gewiss. Aber keine der nervigen Sorte. Denn Saleka kann durchaus was, musikalisch wie auch schauspielerisch. Die pure Seele eines Popstars wird der verrohten Seele eines Mörders gegenübergestellt. Es ist ein Kampf zwischen zwei sehr verschiedenen Weltanschauungen, der „Trap“ in seiner zweiten Hälfte zum aufschlussreichen Psychogramm macht. Zunächst wandelt man auf den Spuren der Suspense-Großmeister: ein bisschen Hitchcock da, etwas De Palma dort. Wie die Kamera dem teuflischen Protagonisten in seiner Auswegsuche folgt und sich schlangenartig um das Gebäude räkelt, zeugt von großer Stilsicherheit. Während sich klaustrophobische Atmosphäre breitmacht, wird die Spannung durch den gelegentlichen Dad-Joke gebrochen. Da soll noch einmal jemand versuchen, Shyamalan Humorlosigkeit zu attestieren. Wie viel Spaß er mit einem Konzept wie dem diesigen haben kann, merkt man vor allem im späteren Verlauf der Dinge. Der Twist-Connaisseur platziert diesmal nicht nur eine, nein, gleich mehrere Wendungen und zeigt dabei gesundes Gespür für Selbstironie. Gekonnt werden die Stimmungsbilder gewechselt: von morbide komisch zu hochgradig dramatisch und introspektiv. Dass dieser radikale Tonwechsel aufgeht, hat Shyamalan mitunter seinem Hauptdarsteller zu verdanken. Josh Hartnett, Herzensbrecher der frühen 2000er (u.a: „Pearl Harbour“), zeigt die Bandbreite seines Könnens und trifft jede Facette seiner Figur punktgenau. „Trap“ ist ein Stückchen massenkonformes Thriller-Kino, wie man es kaum mehr sieht: unterhaltsam, verspielt, unvorhersehbar, famos inszeniert und auch erstaunlich zeitgemäß. Wer sich zur Sorte Mensch zählt, der überdrehte Genre-Filme auf reale Logik durchlöchert, dem wird man es auch hier nicht Recht machen – so viel steht fest. Der ist im Kino aber ohnehin schlecht aufgehoben. Wo Shyamalan draufsteht, ist mittlerweile auch 100% Shyamalan drin. Und das allein ist im form- und mutlosen Mainstream eine Menge wert.
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    (Christian Pogatetz)
    06.08.2024
    21:27 Uhr