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    Üben, üben, üben – Was Musik und Klimaschutz gemein haben

    Exklusiv für Uncut von der Diagonale
    Der Debütfilm des deutschen Regisseurs Laurens Pérol, der in Norwegen lebt und demnach mit „Practice“ (oder im Original „Å øve“) auch einen norwegischen Film produziert hat, könnte inhaltlich kaum besser als Debüt fungieren. Das Leben der jungen Trine wird geprägt von zwei Leidenschaften: Dem Klimaaktivismus und dem Trompetenspiel. Nun prallen beide Passionen aufeinander. Denn Trine wird auf ein Vorspiel an der Oper von Oslo eingeladen. Endlich ergibt sich die Chance, ihr musikalisches Können zu beweisen. Allerdings lebt sie auf den Lofoten-Inseln und muss demnach eine Strecke von 1500 km zurücklegen. Mit dem Flugzeug zu fliegen, stimmt allerdings nicht mit ihrem nachhaltigen Bewusstsein überein. Also muss sie mittels Autostoppen an ihr Ziel gelangen. Auf der Reise begegnet sie nicht nur verschiedensten Menschen, sondern muss auch weiterhin üben und ihre Bestandhaftigkeit unter Probe stellen.

    Es ist noch kein Schreibmeister vom Himmel gefallen

    Faktisch gesehen gehört „Practice“ damit zum Genre des Roadmovie, wobei seine Auslegung, das Auto symbolisch nicht für Freiheit stehen zu lassen, sondern mittels Autostoppen als reines Mittel zum Zweck zu inszenieren, frisch wirkt. Allerdings scheint es, dass der Film narrativ aus seinen Ansätzen nicht viel neues erwachsen lässt. Gewissermaßen hört sich das Konzept der Reise wie eine Art Kurzfilm an. Mit 77 Minuten ist „Practice“ auch für einen Kinofilm verhältnismäßig kurz. Und dennoch fühlt er sich beim Schauen selbst stellenweise zu lang an. Das liegt mitunter daran, dass die Figuren relativ wenig Dialog von sich geben. Nicht zwingend muss das schlecht sein. Aber bei den Dialogpassagen, die tatsächlich vorkommen, merkt man, dass das Drehbuch weder gewieft noch glaubwürdig verfasst ist. Durch die knappen Reden können auch wirkliche Diskussionen oder jegliche Erkenntnisse rund um die Dringlichkeit des Klimaschutzes nicht wirklich stattfinden. Manchmal wirkt der Film wie eine Fingerübung für den Regisseur. Sicherlich wurde hier ein persönlicher Weg gewählt. Immerhin trampte auch Laurens Pérol von Premiere zu Premiere mit den Autos. Aber vor lauter Üben vergisst er, eine Geschichte zu erzählen.

    Probieren geht über Studieren

    Die Qualitäten von „Practice“ liegen woanders. Auf ihrem Weg bis nach Oslo muss Trine die Natur Norwegens durchwandern. Und Trompete zu üben, darf sie auch nicht vernachlässigen. Daher übt sie in der Landschaft. Und hier treffen wunderschön gefilmte Aufnahmen der skandinavischen Umwelt auf das gefühlvolle Musikspiel, wodurch auditive und visuelle Gestaltung auf harmonische Weise eine Synergie ergeben. Gerade in solchen Momenten, mit denen nicht gespart wird, wird der Film zu einer unverkennbaren sinnlichen Seh- und Hörerfahrung. In diesem Sinne legt „Practice“ eine thematische Parallele zwischen der Bestandhaftigkeit im Klimaaktivismus und in der Musikleidenschaft fest. In beiden Bereichen muss man sich Widerständigkeit antrainieren und wiederholt versuchen, sich Gehör zu verschaffen – ob auf der Straße oder beim Vorspiel in der Oper. Damit im Zusammenhang steht das Nicht-Schaffen und der dadurch entstehende Frust, welchen der Film aktiv wie nachvollziehbar darstellt. Da wartet er auch mit einem konsequenten Ende auf. Und auf Trines Weg trifft sie auf verschiedene Menschen, immerhin ist sie auf ihre Hilfe angewiesen. Auch wenn die Begegnungen stark variieren, inszeniert Laurens Pérol die Musik als ein verbindendes Glied, ganz im Kontrast zu der gespaltenen Gesellschaft. Die Musik dient auch als Element, das uns auf unsere Menschlichkeit zurückberuft.
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    (Tobit Rohner)
    23.04.2024
    09:56 Uhr
    First milk, then Cornflakes
    just like my movie taste.

    Betreibt den Podcast @Filmjoker

    Aktiv auf Letterboxd @Snowbit