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    Den Teufel auf Distanz halten

    Wo ist Nicholas Cage? Man erkennt ihn gar nicht hinter dieser seltsamen Maske, die so aussieht, als hätte Mrs. Doubtfire den Nachtdienst in der nächstgelegenen Geisterbahn begonnen. Als hätte Mickey Rourke sein Geschlecht gewechselt. Seltsam feminin, tänzelnd wie der Joker und vom Teufel besessen geistert die Gestalt des Longlegs durch ein düsteres, von allen guten Geistern verlassenes Amerika, wie ein Harlekin des Grauens. Nicht von dieser Welt und dennoch nur ein Mensch. Oder doch nicht?

    Wer sich einen Psychothriller biblischen Ausmaßes erwartet, wie ihn David Fincher zu meinem bekennenden Schrecken in den Neunzigern losgelassen hat, darf nur zum Teil darauf hoffen, von einer packenden Tragödie sturzflutartig mitgerissen zu werden. Longlegs geht die Sache nämlich ganz anders an. Ruhiger, stiller, bis zum Äußersten entschleunigt. Und dennoch entwickelt die finstere, metaphysische Mär um das paranormale Treiben eines hässlichen Sonderlings eine intensive Dynamik – viel untergründiger als bei Sieben, viel mehr introvertierter und überhaupt nicht energisch, sondern in den Momenten potenziellen Spuks, der da aufkommen könnte, innehaltend, um dann wieder die Erwartungen des Zusehers zu konterkarieren. Mit dem mysteriösen Song Jewel der Band T. Rex und einem daraus entnommenen Zitat, schwarze Lettern auf Rot, beginnt eine Sinn- und Tätersuche, die sich tief ins Unterbewusstsein von Protagonistin Maika Monroe gräbt, die als FBI-Ermittlerin Lee Harker durch den fundamentalen Wahnsinn eines Satanisten auf ihre eigene verzerrte Biografie zurückgeworfen wird. Diese Reise in die Dunkelheit führt durch ein fahl beleuchtetes Labyrinth aus Fluren, Kellern und weiten Räumen, deren hintergründige Unschärfe dem Auge Streiche spielen, während die Kamera stets Distanz hält zu seinen Figuren, lediglich Monroe rückt näher ins Bild, stets ernst, argwöhnisch und sonderbaren Klängen lauschend, die Psychopathisches auf den Plan rufen könnten.

    Akribisch lernt Agentin Harker das krude Alphabet des Spinners, immer rätselhafter wird dieser Fall, der sich nicht auf die zehn Todsünden herunterbrechen lässt, sondern viel komplexer scheint. Schließlich ist es so, als würde Longlegs niemals selbst töten, als wären es die Opfer selbst, die sich und ihre Liebsten richten, angetrieben durch irgendeine obskure Macht, die der Killer entfesseln kann. Ist es Hypnose? Sind es Drogen?

    Der Eindruck, dass die Wahrnehmung etwas verzerrt wirkt, liegt auch an den subtilen, ausgefeilten technischen Spielereien, die sich Regisseur Oz Perkins, der älteste Sohn von Schauspiellegende Anthony Perkins (Psycho), da einfallen hat lassen. Auch wenn das ferne Gewitter am dämmrigen Abendhimmel Wetterleuchten verursacht – stets bleibt das Gefühl einer Ruhe vor dem Sturm konsistent. Perkins Welt gerät unter einen Glassturz, in eine windstille Szenerie aus abgestandener Luft und Unbehagen. Die ungesund gelben Lichtkegel billiger Taschenlampen durchdringen die Finsternis, der magere Schein alter Glühbirnen und halogenem, septischem Schwachlicht erhellen das Halbdunkel nur kaum, das besser als alles andere die Metaphysik dieses okkulten Dramas versinnbildlicht. Longlegs Bildsprache folgt einer aufgeräumten Ordnung, einer Hintergrund-Symmetrie, ein erlesenes Setting, die Figuren befinden sich zentral. Vieles lässt sich in diesem Kunstwerk analysieren – am schwierigsten zu handhaben ist da wohl das Herunterschrauben einer Erwartungshaltung, die sich aus den Erfahrungen im Genre speist. Longlegs entwickelt dabei einen eigenwilligen Takt, die Ruhe vor dem Sturm zeigt sich als der Sturm selbst.

    Der mit bedächtig gesetzten Gewaltspitzen ausgestattete Horror findet einen neuen Zugang ins Okkulte und vermengte das Reale mit einer fantastischen Komponente, die sich nur so nebenbei ins Geschehen schleicht. Budenzauber und hohlen Schrecken sucht man in Longlegs vergebens. Diese Ermittlungsarbeit ist ein mephistophelisches, künstlerisch versonnenes wie versponnenes Erlebnis, die den Faust’schen „Pudels Kern“ neu interpretiert. Dass Oz Perkins dabei, wieder auf einer eigenen Ebene, garstige Kritik am Katholizismus und der blinden, bigotten Bibel-Frömmelei äußert, wird in dieser Review nur rein zufällig zuletzt erwähnt. Als Wurzel allen Übels liefert dieser schadhafte Eifer überhaupt erst das Fundament für ein verhängnisvolles Spiel.



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    28.08.2024
    21:09 Uhr
  • Bewertung

    Dem Serienkiller mit den langen Beinen auf der Spur

    Selten gibt es einen so großen Hype um einen Horrorfilm abseits von Blockbuster-Reihen à la „Saw“ wie bei „Longlegs“ von Osgood Perkins. Er wird von einigen Medien gar als bester (Genre)film des Jahres gefeiert und als das moderne „Schweigen der Lämmer“ bezeichnet.

    Horror im Blut
    Hohe Erwartungen wecken auch die Familienbande des Regisseurs und Drehbuchautors: Er ist der Sohn von „Psycho“-Legende Anthony Perkins. Zudem hat er mit „Die Tochter des Teufels“ und einer Gruselvariante eines Grimm-Märchens namens „Gretel & Hansel“ schon einige Werke im Horror- und Mysterybereich abgeliefert. Als Bösewicht – der dem Film den Namen gibt – konnte niemand Geringerer als Nicolas Cage engagiert werden. Dieser hat in den letzten Jahren mit Porträts schräger Typen ein gelungenes Comeback hingelegt und ist wieder einer der spannendsten (Alt-)Stars im Kino.

    Jagd nach dem Serienmörder
    „Longlegs“ funktioniert eher nach dem Polizeithriller-Rezept, konzentriert sich auf die Ermittlungsarbeit. Zu lange ist es her, dass ein Serienmörder namens „Longlegs“ sein Unwesen treibt, ganze Familien auslöscht. Alles, was er hinterlässt, sind grausige Leichen und Nachrichten mit kryptischen Botschaften. Das FBI tappt im Dunkeln, an keinem der Tatorte konnten Einbruchsspuren gefunden werden. Nach Jahren ohne Erfolg stößt die junge Agentin Lee Harker (nuanciert und großartig: Maika Monroe) zum Team. Gut ausgebildet, motiviert und mit einer fast übersinnlichen Begabung ausgestattet, bringt sie frischen Wind und schon bald stellen sich erste Erfolge ein. Sie kommt „Longlegs“, der mit dunklen Mächten im Bunde zu sein scheint, auf die Spur und wird immer tiefer in den gefährlichen Fall hineingezogen.

    Persönliches Katz-und-Maus-Spiel
    Perkins erzählt seine Geschichte recht klassisch, zeigt typische Ermittlungsschritte, wobei das Publikum die Identität des Serientäters bald kennt. Wesentlich interessanter ist da der Fokus auf die Figur der jungen Agentin, die ins kalte Wasser gestoßen wird; und das gleich in einem Fall eines Serienmörders. Lee zeigt bald, was in ihr steckt. Zumindest beruflich. Die Beziehung zu ihrer Mutter ist nicht so einfach wie die zu ihren Kolleg*innen. Eine weitere Ebene ist die Beziehung zwischen Ermittlerin und Täter. Perkins beleuchtet sie genau. Ganz klassisch als Katz-und-Maus-Spiel, denn Lee kommt ihm näher. Aber nicht nur, denn die Geschichte hat genügend Wendungen, um spannend zu bleiben und fein zu unterhalten. 

    Feine Charakterzeichnung und typische Horrorelemente
    „Longlegs“ legt den Fokus auf die Figur der Lee Harker, als Agentin, aber auch als Tochter. Ihrer Entwicklung schaut man gerne zu. Ein wenig kann man ebenso in die Welt und das Leben des Serienmörders eintauchen. Erwartbar, aber gut gelungen ist die durchgehend düstere Atmosphäre. Kalte Farben wechseln sich mit mysteriösen Bildern ab, die in Rot getaucht sind. Immer wieder kommt das Gefühl von Gefahr auf, durch den Soundtrack gekonnt unterstützt.

    Genrekost ohne extremen Aderlass
    Perkins‘ Film ist zwar kein durchgehendes Blutbad, die eine oder andere grausame Schockszene bietet er trotzdem. Eingefleischte Liebhaber von Gewaltszenen und der überbordenden Verwendung der in Horrorfilmen so typischen roten Körperflüssigkeit werden vielleicht nicht gänzlich glücklich sein, allerdings auch nicht komplett enttäuscht. Für Menschen mit schwachen Nerven und einem extrem nervösen Magen ist der Film nicht unbedingt zu empfehlen …
     
    Charismatische Protagonistin hebt Film aus dem Mittelmaß
    Die Geschichte von „Longlegs“ funktioniert gut, bietet typische (und daher selten innovative) Ermittlungsarbeit des FBI, dunkle Geheimnisse, einen mehr oder weniger verrückten Bösewicht und zahlreiche Wendungen. Das allein reicht einmal für einen durchschnittlich guten Film. Was Perkins‘ Streifen auszeichnet, ist einerseits sein Unterhaltungswert. Die Spannung fällt selten ganz ab, dafür gibt es auch eine Prise dunklen Humor und satirische Töne. Andererseits sticht die charismatische Protagonistin heraus, die Nicolas Cages durchgeknalltem Serienkiller fast die Show stiehlt. Vielleicht sogar gänzlich.

    Der Hype ist daher teilweise gerechtfertigt, wobei sich die Bewertung als bester Film des Jahres doch eher als Marketing-Schmäh erweist. Perkins‘ „Longlegs“ ist ‚nur‘ ein überdurchschnittlich guter.
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    09.08.2024
    22:04 Uhr