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    Allein mit den Männern des Westens

    Seit Der seidene Faden von Paul Thomas Anderson, wo sie an der Seite des großen und längst in Schauspielrente gegangenen Daniel Day Lewis gestanden hat, ist die Luxemburgerin Vicky Krieps eine begehrte, weil extravagante Schauspielerin, die sich schwer in irgendein Schema einordnen lassen will und einen ganz eigenen Charme versprüht, ohne dabei irgendwelchen Vorbildern, sofern es welche gäbe, nacheifern zu müssen. Diese Besonderheit wollte „Aragorn“ Viggo Mortensen in seiner zweiten Regiearbeit gewährleistet wissen, völlig beeindruckt von dieser unkonventionellen Ausstrahlung und diesem extra für diesen Film einstudierten französischen Akzent. Ein feministischer Western sollte es werden, rund um Hoffnung, Grauen, Schicksal und Tod. Legenden der Leidenschaft im Format einer rustikalen Farmhouse Story, einer Lebensgeschichte ohne kitschiges Pathos. Fackeln im Sturm im Spin Off, ein Hauch von Eastwoods Erbarmungslos und sonst auf autorenfilmischen, weil emanzipierten Künstlerpfaden unterwegs. Mortensen sollte niemand vorschreiben, wie er seine Vision umzusetzen hat. Keine großen Studios, kein Über-die-Schulter-blicken, sondern die freie Idee eines romantischen Klageliedes im Staub natürlicher Landschaften, die Mortensen in atemberaubenden Kalenderbildern einfängt. Zwischendurch jedoch sind die toxischen Stereotypen von Männlichkeiten aller Art jene Bürden, die Vicky Krieps als selbstbestimmte, smarte Frankokanadierin Vivienne auferlegt werden. Sie werden ihr nacheinander den Traum eines guten Lebens nehmen. Und sie so weit herausfordern, bis gar nichts mehr geht.

    Mortensen selbst, der Regie, Skript und auch die Produktion übernommen hat, sieht sich selbst sehr oft und gerne in der Rolle eines eigenbrötlerischen Außenseiters, eher ungepflegt, von der Sonne gegerbt, doch männlich, charmant, auf ruppige Art liebevoll. Ein Gesamtpaket, das Vivienne, die eines Tages zufällig an diesem Mann vorbeispaziert, sofort überzeugt. Es folgt ein Szenenwechsel, und das zerzauste Landei hat bereits die Gunst der selbstbewussten Dame gewonnen, wacht er doch nächsten Morgen gleich in ihrer Bettstatt auf. Die Figur des Holger Olsen ist die erste Ausgestaltung eines Männlichkeitsbildes, das zwischen Progressivität und konservativem Pflichtbewusstsein versucht, eine Balance zu finden. Letztlich obsiegt der Drang, als Mann tun zu müssen, was man als Mann eben tun muss: Während der Sezessionskriege sieht Olsen schließlich keinen anderen Weg, als einzurücken – und lässt Vivienne, die sich längst damit abgefunden hat, gemeinsam mit ihrer großen Liebe im Nirgendwo auf einer verstaubten Farm ihr Dasein zu bestreiten, allein zurück. Man weiß: In diesen Zeiten ist weibliche Selbstbestimmtheit nichts, was Frau ausleben können. Vivienne tut aber ihr Bestes, will ihr eigenes Geld verdienen, will ihre Meinung sagen und sich nichts gefallen lassen. Vicky Krieps ist die Avantgarde einer späteren, resoluten Weiblichkeit. Auch wenn Olsen die Sache eher skeptisch sieht.

    Die andere Seite der Männlichkeit ist die verheerende. Da gibt es diesen Weston Jeffries, psychopathischer und gewaltaffiner Sohn eines reichen Landbesitzers, der gerne Leute krankenhausreif prügelt und Kinder über den Haufen schießt. Das Recht, alles haben zu dürfen, wonach ihm der Sinn steht, schließt die aparte Vivienne mit ein. Und so kommt es zu einer verheerenden Tragödie, die das Leben der Zurückgelassenen um hundertachtzig Grad in eine Richtung dreht, welche den Anfang vom Ende einläuten wird. Vom Ende einer Idee, was es heisst, ein glückliches Leben als Frau zu führen.

    Viggo Mortensen will um seine Chronik des Scheiterns einer Frau im Wilden Westen keinen klassischen Erzählbogen spannen. Er beginnt mit dem Dahinscheiden seiner Protagonistin, um dann die Geschichte weiterzuerzählen, während sich in längeren Intervallen zwischendurch eine Lovestory zu verankern versucht, die in ihren eigentlich kurzatmigen Szenen nicht jene Gestalt annehmen kann, für welche sich Vicky Krieps offensichtlich vorbereitet hat. Mortensen weiß nicht so recht, in welchem Rhythmus und nach welcher narrativen Logik er seine Zeitebenen durchmischt, die Struktur des Films erscheint daher beliebig. Was The Dead Don’t Hurt fehlt, ist sein Fokus auf das Wesentliche. Die Garnitur klassischer Westernszenen und -charaktere umrahmt den ambitionierten Kern des Films in klischeehafter Dicke, irgendwann hat man das Gefühl, Mortensen will zu viel und alles gleichzeitig. Viel Drama, viel Schicksal, viel Gut und Böse auf simple Weise. Was bleibt, ist Vicky Krieps gehemmtes Spiel und viel Landschaft.


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    16.08.2024
    16:11 Uhr