To the Moon

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Forumseintrag zu „To the Moon“ von Andretoteles

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Andretoteles (09.07.2024 20:32) Bewertung
Ein Wettlauf um Liebe und Ideologie
Exklusiv für Uncut
Liebesfilme haben es nicht leicht. Früher durch den Hays-Code zur Prüderie verdammt, zwischenzeitlich zu schwülstig und stumpf, sind sie inzwischen beinahe verschwunden. Nur ab und zu blitzt er auf, der cineastische Funke, der amouröse Geheimtipp. Allen gemein ist das bewährte Rezept: zwei beliebte Weltstars versuchen sich im trivial gestrickten Aufbau von Chemie und Beziehung, um ein möglichst mehrheitsfähiges Publikum anzusteuern. Auch „To the Moon“ unterscheidet sich nicht von der Liebesgrundkonstellation, aber sehr wohl im ungewöhnlichen Setting. Eine Sommerromanze vor dem realhistorischen Hintergrund des Wettlaufs zum Mond in den 1960er-Jahren hat es in der Form noch nicht gegeben. Ob diese zusammengeschusterte Kombination aus Lovestory, Verschwörung um die Fake-Mondlandung, wissenschaftlichem Zeitgeist, Vintage-Look, Marketingversprechen und persönlichen Traumata funktioniert, erfahren wir gleich.

Die Ausgangslage könnte unterschiedlicher nicht sein. Kelly Jones (Scarlett Johansson) bewegt sich in illegalen Sphären, wechselt Identitäten, um schlagfertig und gewitzt mit verschiedenen Tricks unternehmerische Altherrenriegen an der Nase herumzuführen. Ihr Blick gilt dem Marketing, der Vermarktung, der Werbung. Cole Davis (Channing Tatum) hingegen steuert das Apollo-Weltraum-Programm in leitender Tätigkeit bei der NASA, ist verantwortlich für das große Ziel der USA im Wettstreit mit der Sowjetunion: die Mondlandung. Mit dem Versprechen ihren Lebenslauf zu reinigen, heuert Kelly bei der NASA an. Sie soll das Image der teuren Apollo-Missionen aufbessern. Damit beginnen Zusammenarbeit und Konflikte: Kelly ordnet dem Marketing alles unter, während für Cole der Erfolg der Mission und deren tödliche Gefahren für die Beteiligten im Vordergrund stehen. Beide sind auf der Suche nach Kompromissen, bevor Berufliches und Privates in Romantik verschmelzen.

Wenn es dabei geblieben wäre, wäre alles in Ordnung. Doch neue Herausforderungen für Kelly und Cole sorgen auch für dramaturgische Probleme. Mit jeder Drehbuch-Konstruktion, mit jeder Öffnung eines neuen thematischen Feldes verstrickt sich Regisseur Greg Berlanti (Serien „The Flash“ oder „Supergirl“) in multiple Nebenhandlungen. Hier ein unverarbeitetes Trauma über die verbrannte Apollo-1-Crew, sodann mehrere Wohlfühl-Worthülsen, da ein Dinner mit einem frommen Senator, dort der plötzliche Diebstahl eines TV-Geräts. Hanebüchene und unnötige Gespräche ziehen nicht nur den Film unnötigerweise in die Länge, sondern auch der Handlung den roten Faden.

Neben all den fruchtlosen Versuchen wiegt eine Drehbuchkonstruktion am schwersten. Oder eher: Drehbuchinszenierung. Die Bitte von Moe Berkus (Woody Harrelson), Kelly möge doch eine gefälschte Mondlandung drehen, um auf Nummer sicher zu gehen, um den Kampf der Ideologien mit Garantie zu gewinnen. Zugegeben, die Scheinproduktion erzeugt jede Menger Lacher, maßgeblich verantwortlich dafür der exzentrische Regisseur, gespielt von Jim Rash. Mit der Fälschung verliert der Film jedoch völlig den Fokus und verzettelt sich in skizzenhafter Charakterentwicklung. Glücklicherweise wird zwar nicht weiter in Verschwörungsmythen gekramt, die Fake-Inszenierung in der Meta-Ebene wirft dennoch aktuelle Fragen auf. Was könnten Menschen uns medial vorgaukeln? Inwiefern wird KI solche Machenschaften unterstützen? Welche Rolle spielt Medienethik? Selbstredend verhandelt „To the Moon“ keinen dieser Aspekte – nur einer bleibt im Kopf, ausgesprochen vom Harrelson-Charakter „It’s not a race to the moon, it’s a race for the ideology.“

Mit Blick auf den Cast fällt neben dem reichhaltigen Aufgebot an Stars eine tiefe Kluft auf. Eine Kluft in der Darbietung. Channing Tatum ist lustig und hat als Magic Mike eine Paraderolle als körperbetonter tänzerischer Vorreiter einer neuen Männlichkeit eingenommen, das steht außer Frage. Schwierig wird’s beim Hauch einer Charakterrolle, die er in „To the Moon“ ab und zu einnehmen und für die er mehr als einen Gesichtsausdruck anbieten sollte. Ganz im Gegensatz zu den mehrfach Oscar- und Globe-Nominierten Scarlett Johansson und Woody Harrelson, deren weitaus solide bis überdurchschnittliche Performances den Film tragen. Infolge der Kluft knistert es zwischen den Liebenden auch nur gedämpft, von Chemie kann nur schwerlich eine Rede sein.

Trotzdem kann der Film vereinzelt überzeugen, weniger durch cineastischen als durch technischen Funken. Hinter der Kamera steht Dariusz Wolski, Haus- und-Hof-Kameramann von Ridley Scott, bekannt für opulente, weiträumige Bilder. Er bietet fantastische Einstellungen startender, monströser Raketen, das Sounddesign hilft gehörig mit. Ebenso sorgen Kostüme, Ausstattung und Frisuren für eine erfrischende, sommerliche, eskapistische Atmosphäre aus einer scheinbar besseren Zeit. Zeitweise Original- und Archivaufnahmen und tolle Songs unterstützen den authentischen Look.

Fazit: Johansson, Tatum, Harrelson: Hollywood-Stars im Kontext des großen amerikanischen Triumphes. Der wahrgewordene American Dream. „To the moon“ besticht mit Humor, Retro-60s-Ausstattung und mit informativer Originalität. Eine launische Romcom in lehrreichem Setting der Wissenschaftsgeschichte, die durch das generische Blockbuster-Korsett und schwankende Schauspielleistungen schwächelt. Ein bisweilen genießbarer Feel-Good-Streifen, der in Ambition und Überlänge zu ersticken droht. Wer das ausblenden kann und/oder sich für irdische Weltraumgeschichte interessiert, wird trotzdem gut unterhalten.
 
 

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