Golda - Israels eiserne Lady

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Forumseintrag zu „Golda - Israels eiserne Lady“ von Filmgenuss

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Filmgenuss (16.06.2024 10:40) Bewertung
Die alte Frau und das Heer
Wie schon bei Die dunkelste Stunde – dem Portrait über Winston Churchill im Schatten des Zweiten Weltkrieges, für welches der unkenntliche Gary Oldman seinen Oscar gewonnen hatte – ist auch Golda – Israels eiserne Lady vor allem eins: Ein Triumph der Maskenbildner. Denn Helen Mirren ist im Gegensatz zu Oldman zumindest gerade noch zu erkennen, kennt man die Akteurin nicht nur flüchtig. Tiefe Furchen durchziehen ihr Gesicht, die Nase ist klobig, die Backen hängend, der Schritt aufgrund von zu viel Wasser in den Beinen schleppend und schlurfig. In den nikotingelben Fingern ihrer linken Hand klimmt pausenlos eine Zigarette, den Gesundheitszustand von Israels Grand Dame will ich gar nicht so genau wissen. Es ist schon genug gesagt, wenn Golda Meir, damals bereits stolze 75 Jahre alt, in regelmäßigen Abständen zur Strahlenbehandlung ins Spital muss. Dazwischen rennen ihr sozusagen über Nacht wutentbrannte Nachbarstaaten die Türen ein, in diesem Falle Ägypten und Syrien – letztere rücken aus dem Norden vor, die anderen überqueren unter dem Befehl des Präsidenten Sadat den Suezkanal, um die Rückeroberung der Halbinsel Sinai über die Bühne zu bringen, ungünstigerweise am Feiertag Jom Kippur, womit sich dieser Krieg auch namentlich in den Geschichtsbüchern eintragen wird. Bedrängt also von allen Seiten, muss Golda Meir die richtigen Entscheidungen treffen. Und, mehr noch als ihr Verteidigungsminister, die Nerven bewahren. Zum Glück war Israel auch damals schon mit den USA verbrüdert – so kommt es, dass Henry Kissinger wie gegenwärtig Anthony Blinken als Vermittler tut, was er kann, um das Schlimmste abzuwenden.

Letztendlich, und das ist Geschichte, werden die Israelis tough genug sein, um Ägypten in ihre Schranken zu weisen. Sadat wird klein beigeben und Israel als Staat anerkennen. Sinai wandert zu Teilen wieder an Ägypten zurück. Der Frieden scheint beschlossen. Golda Meir wird den Frieden noch erleben, bevor sie 1978 stirbt. Und wäre nicht einer wie Guy Nattiv, der, wie schon Joe Wright mit dem ebenfalls kettenrauchenden Churchill, einer Größe der Weltpolitik ein Denkmal gesetzt hätte, hätte ich in Sachen Jom-Kippur-Krieg wohl nicht viel dazugelernt. Angelegt als Kammerspiel und selten bis gar nicht auf dem offenen Schlachtfeld unterwegs, sehen wir Helen Mirren mit tränenden Augen und der zähen Umtriebigkeit einer „Miss Marple“ die Geschicke ihres Landes lenken, ob am Telefon, im Konferenzraum oder daheim im Bett mit sich selbst, die inneren Dämonen der Verantwortung bekämpfend. Nattiv rückt der Person durchaus nahe, trotz Maske findet Mirren Mittel und Wege, ausdrucksstark zu bleiben. Doch was wäre gewesen, hätte dieses Politdrama einer wie Ridley Scott oder Steven Spielberg verfilmt, Sam Mendes oder der Deutsche Edward Berger? Es wären nachhaltig intensive Szenen des Leidens und des Krieges gewesen. Der Charakterstudie einer kettenrauchenden Pragmatikerin, die sich stets die Gefallenen notiert, als wären sie die Zahlen einer Lottoshow, wäre man mit der anderen Seite der Medaille begegnet; mit dem kritischen Blick, der jenem der Rechtfertigung begegnet wäre. Beides zusammen hätte erlebte Geschichte auf die Leinwand gebracht – doch Nattivs Fokus bleibt beharrlich auf Golda Meir, die alte Dame und ihr Heer, das zähe Ringen um die bessere Taktik.

Die viele Theorie, das Umschreiben der militärischen Wendepunkte anhand von Funkberichten von der Front, das Herankarren politischer Eckdaten – alles hat Sinn, und dennoch bleibt es trocken, manchmal schwerfällig im Erzählen, wie Meir selbst. Wichtig ist die Maske, die verblüffende Ähnlichkeit, die genialen Close ups. Dann der Rauch vieler Zigaretten, ein bisschen halbherzige Symbolik für nichts Konkretes – hinter dem Rauch die erfahrenswerte Vorgeschichte eines Zustandes, der aktuell unentwegt Schlagzeilen macht.



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