Wir könnten genauso gut tot sein

Bewertung durch Filmgenuss  40% 
Durchschnittliche Bewertung 65%
Anzahl der Bewertungen 2

Forumseintrag zu „Wir könnten genauso gut tot sein“ von Filmgenuss

filmgenuss_logo_quadrat_2a3baf4bcc.jpg
Filmgenuss (12.06.2024 12:04) Bewertung
Das System hat Panik
Die Begeisterung kann ich nicht teilen. Denn jener Film, der sich darum bemüht, die Eigendynamik gesellschaftlicher, isolierter Biotope zu sezieren, bewegt sich insofern deutlich von der Materie weg, da er sein Ensemble auf bühnenhafte Weise, und so, als wäre das alles eine zeitgenössische Theateraufführung voller abstrahierter Menschenformen, darzustellen gedenkt. Wir könnten genauso gut tot sein von Natalia Silnenikowa hat allerlei Ambitionen und will erkennen, wie leicht sich etablierte Ordnungen verzerren lassen, wenn nur kleinste Details aus der konformen Zone tanzen. Am Ende führt die Studie menschlichen Verhaltens sehr wohl zu einer Conclusio, die aber wenige Erkenntnisse bringt – vor allem nicht solche, die die Wahrnehmung der Gesellschaft im Rahmen der Covid-Pandemie ohnehin schon definiert hat. Als Pandemie-Film lässt sich Wir könnten genauso gut tot sein dann tatsächlich auch betrachten, sogar der Titel passt perfekt zu den Überlegungen, die wir alle hatten, als wir hinter Schloss und Riegel verbringen mussten, um nicht uns selbst oder andere zu gefährden. Diese eigentümliche Welt, die Silnenikowa da errichtet, ist wie die letzte Bastion des harmonischen Friedens inmitten eines womöglich völlig aus den Fugen geratenen urbanen Systems. Aus einer vielleicht postapokalyptischen Landschaft ragt der Wohnturm einer obskuren Anlage, in welcher Hausparteien in völliger Isolation ihrem Tagesgeschäft nachgehen, ohne auch nur irgendwie ihre Brötchen zu verdienen.

Eine Bewohnerin tut sich dabei deutlich hervor. Es ist die Rumänin Anna, die mit ihrer Tochter bereits sechs Jahre lang das Privileg genießt, Teil dieser seltsamen Gemeinschaft zu sein, in der Achtsamkeit, Nachhaltigkeit und gepflegte soziale Harmonie die Dogmen sind, nach denen gelebt werden soll. Als Sicherheitsbeauftragte hat sie alle Hände voll zu tun und wird erst so richtig in ihrer Mission gefordert, nachdem der Hund des Hausmeisters verschwindet. Töchterchen Iris nimmt diesen Vorfall auf sich, sie meint, den bösen Blick zu haben, und das in Erfüllung geht, was sie anderen wünscht. Aus diesem Grund, und um keine Gefahr für andere zu sein, sperrt sie sich ins Badezimmer. Mit diesem Pensum an Aberglauben und einer Verwechslung, die ungeahnte Konsequenzen nach sich zieht, gerät die Community ins Wanken, die Ordnung bröckelt, schnell werden manche zur Persona non grata. Und der Hund ist immer noch weg.

Von Anfang an lässt einen das Gefühl ohnehin nicht los, dass hier manches faul ist. Und dass eine Welt wie diese, die auf begrenztem Raum das Ideal des Kommunismus praktiziert, einfach und auf längere Sicht nicht funktionieren kann. Denn Kommunismus birgt horrende Intoleranz, Fehltritte werden drakonisch bestraft, und mögen sie auch noch so klein sein. Dass ein Leben unter diesen Umständen so heiß begehrt ist, mag eine nicht ganz nachvollziehbare Prämisse sein. Aufbauend auf diesem Unbehagen entwickelt das teils unübersichtliche, flüchtig skizzierte Figurenensemble weltfremdes formelhaftes Verhalten, mit Vernunft lässt sich diesen Leuten nicht mehr begegnen und am meisten provoziert der engstirnige Teenager Iris (Pola Geiger), der sich in verbohrter Sturheit seinem magischen Denken hingibt. Provokation wäre ja für einen Film nun mal kein schlechte Eigenschaft, doch vielleicht eignet sich das Attribut der Entnervtheit doch viel besser. Auch wenn Ioana Iacob als Alltagsheldin Anna um ihre mühsam errungene Existenz kämpfen muss und dabei auch Opfer bringt – ihre reflektierte Sicht auf die Dinge lässt sich mit der Sehnsucht nach einem Alltag wie diesen schwer vereinbaren. Auch ist die offensichtliche Selbsterniedrigung mancher Figuren in Anbetracht eines angeblichen sozialen Mehrwerts, der anfangs schon keiner ist, einfach nur unnötig und irgendwie dumm.



Mehr Reviews und Analysen gibt's auf filmgenuss.com!
 
 

zum gesamten Filmforum von „Wir könnten genauso gut tot sein“
zurück zur Userseite von Filmgenuss